Gesundheit Alaaf! | ANDERSWOLF

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Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Gesundheit Alaaf!

Trophisches
März 7, 2011

Heute übrigens ist nicht nur Rosenmontag, sondern – und das wird in der Flut aus Kamelle und Strüßche sicherlich untergehen – auch der Tag der gesunden Ernährung. „Weiß ich doch“, schreit es da hinten aus der Umkleidekabine. „Hab aber keine Zeit dafür, ich muss doch auf den Wagen!“

Ist für gesunde Ernährung eigentlich jemals Zeit? Und was eigentlich ist gesunde Ernährung? Was aus Frauenzeitschriften als Erdbeerdiät, Wohlfühlfigur oder Anti-Aging-Kur quillt? Was sich in Fitnesszeitschriften „Food-Guide zum Waschbrettbauch“ schimpft? Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung mit „5 am Tag“ und der alle paar Jahre umgestalteten Ernährungspyramide propagiert?

Die gesunde und die durchschnittliche Ernährung

Gesundheit sei, sagt die Weltgesundheitsorganisation, „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen„. Was das mit Ernährung zu tun hat? Viel, denn mit nichts neben Sport steuern wir unsere Gesundheit mehr. Was also steht da? „Körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen.“ Das muss ja wohl mehr sein als einfach nur Bio und Fünf am Tag und weniger Fleisch als Gemüse.

Man guckt da hinten in die Umkleidekabine und erwischt jemanden, der nicht nur unfertig geschminkt und halb angezogen ist, sondern sich durchschnittlich ernährt: Mischkost mit hohem Anteil einfacher Zucker, tierischer Fette und Eiweiße, die Lebensmittel konsequent aus konventionellem Anbau und preisorientiert ausgewählt, hoher Anteil von Convenience-Produkten. Man erwischt in der Umkleidekabine jemanden, der einen Schokoriegel im Mund hat und sich dafür schämt, weil ihm beigebracht wurde, dass Schokoriegel böse sind. Weil keinen Schokoriegel zu haben, aber auch keinen Spaß macht, hat er in der Umkleidekabine den Schokoriegel im Mund, den er außerhalb als ungesundes Teufelszeug verdammt.

Die richtige, aber komplexe Antwort

„Was ist denn dann gesund?“ Ernährungswissenschaftler hören keine Frage öfter. Nie aber geben haben sie die richtige Antwort, denn „Du darfst alles essen, nach dessen Verzehr Du Dich körperlich, geistig und sozial wohlfühlst.“ will ja auch keiner hören. Das ist keine Antwort, die man wie Kamelle und Schokoriegelbröckchen einfach schlucken kann.

Es ist eine Antwort, die man verdauen muss. Die die Fähigkeit zur Selbstanalyse voraussetzt, eine im globalisierten Kapitalismus unterentwickelte Fähigkeit. Denn ehrliche Selbstanalyse führt zur Selbsteinordnung in ein größeres Ganzes, das nicht Kapitalismus, sondern Umwelt ist, in der man als omnivorer Konsument wahllos so ziemlich alles in sich reinstopft. Und seine Umwelt damit mehr formt als sie ihn.

Die Schokoriegel-Erkenntnis

Was also lernen am Tag der gesunden Ernährung? Dass man ein böser Mensch ist, der die abgegraste Umwelt mit buntem Zeug füllt, das er am Rosenmontag noch Kamelle und Strüßche nennt, nach Aschermittwoch aber als Müll entsorgt? Dass Frauen- und Fitnesszeitschriften keine Ahnung haben, und die, die Ahnung haben, sich lieber ausschweigen, weil alles viel zu komplex ist? Weder noch.

Man soll begreifen, welche Macht man hat als Konsument, der die Welt durch die einzige Kraft formt, die nach dem Niedergang aller politischen Konstrukte noch übrig bleibt: Geld. Und dass man auch Schokoriegel kaufen darf und auch soll, wenn es Schokoriegel sind, die ohne Emulgatoren hergestellt sind, die überwiegend aus Soja gewonnen werden, für dessen Anbau mittlerweile Regenwälder gerodet werden, weil die bisherigen Anbauflächen nicht reichen, um den Bedarf zu decken.

Man muss am Tag der gesunden Ernährung nicht Schokriegel durch Äpfel ersetzen. Schon gar nicht sollte man Kamelle durch Äpfel ersetzen. Man kann aber damit anfangen, die Herkunft, die Verarbeitungsstufe und die Zutatenliste seiner Einkäufe zu lesen und zu hinterfragen. Und sich dann dafür entscheiden zu erkennen, dass der Wert, den man der eigenen Ernährung beimisst, dem entspricht, den man seiner Umwelt gibt. Dafür sollte Zeit sein. Nicht nur am Tag der gesunden Ernährung.
Aber eben auch am Rosenmontag.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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