Die einzige Wahrheit. Ein Axiom zum Selberbasteln. | ANDERSWOLF

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Die einzige Wahrheit. Ein Axiom zum Selberbasteln.

Usus operi
Januar 5, 2012

Die Bloggerin Sherry (Iranique) suchte in ihrem Blog nach der letzten Wahrheit und jenen, die nicht scheuen, über die Grenze des Denkbaren zu denken. Ein versuchter Grenzübertritt.
Götter, Wahrscheinlichkeiten, Weisheiten, Wahrheiten. Der menschliche Geist hat sie alle erfunden, um sie zu ergründen. Und wird letztlich nicht anders können als zuzugeben, dass sie ohne den Menschen nicht existierten. Es gibt eine Realität, und es gibt Meinungen darüber, die Wahrheit genannt werden, doch erstere ist einmalig und letztere immer relativ und dadurch Legion. Dies ist so, weil kein Mensch die subjektive Realität, also die individuell wahre Ansicht vom Sein aller Dinge eines anderen Lebewesens, ja nicht einmal eines anderen Menschen, und sei es ein eineiiger Zwilling, teilen könnte.

Wir können versuchen, die Welt aus der Sicht eines Schmetterlings darzustellen, doch auch das wird nur unsere Interpretation der tatsächlich vom Schmetterling empfundenen Realität sein, die der absoluten Realität selbst nicht entspricht.
Für die meisten Menschen ist dieser Gedanke zu beunruhigend, weil er uns allen die Fähigkeit abspricht, wirklich über unser Leben, wirklich über uns selbst, wirklich über irgendetwas zu verfügen, weil wir immer etwas übersehen. Übersehen müssen, denn obwohl unser Geist hochrezeptiv ist, kann er nur erkennen, was zu erkennen er geschult ist. So wie wir aber nicht unseren eigenen Hinterkopf ohne Hilfsmittel oder Wahnsinn erkennen können, stößt selbst die neugierigste Betrachtung an ihre Grenzen.

Auf der Basis dieser unvollständigen Wahrnehmung entstanden menschliche Konzepte wie die Wahrheit, die Weisheit, die Wahrscheinlichkeit. Vieles von dem, was wir nicht wahrnehmen können, sprachen frühere Menschgenerationen dem Übernatürlichen zu, dem sie die Form von Göttern und schließlich, im Laufe der fortschreitenden Selbst-Erkenntnis, die Form eines einzigen Gottes gaben, den sie später wiederum mit den von ihnen erfundenen Mitteln der Wissenschaft obduzierten.
Das Möbiusband der subjektiven Realität macht dies gleichzeitig wahr und unwahr. Wir erkennen mit der Hilfe unseres imperfekten Intellekts, dass unsere Erkenntnisfähigkeit auf den Horizont der begreiflichen Realität begrenzt und niemals darüber hinausreichend ist: Natürlich hat Gott uns den Geist gegeben, ihn zu dekonstruieren. Natürlich hat eine Reihe von Zufällen zu der Erkenntnis geführt, dass es Zufälle nicht geben kann in einer multifaktoriell variaten Realität, deren Faktorengesamtheit nicht erkannt werden kann.
Das heißt nicht, dass sie keinen Regeln folgt. Wir können diese Regeln nur nicht überblicken oder definieren und bezeichnen sie daher als Wahrscheinlichkeiten.

Der Mensch hat sich durch die Ergründung dessen, was er als seine Realität wahrnimmt, selbst erschaffen. Das ist seine größte kulturelle Leistung. Dass jede darüber hinausgehende Erkenntnistheorie an sich selbst scheitern muss, liegt auf der Hand, denn zur Beschreibung eines Sachverhalts braucht es eine Metaebene, die es außerhalb der menschlichen Erkenntnisfähigkeit nicht für den Menschen geben kann.
Vielleicht kann dereinst eine Art Metamenschheit beschreiben, wie unsere Wahrnehmung der Realität ausgesehen hat, aber selbst dann wird es eine Interpretation sein, die auf den erkennenden Erfahrungen der Metamenschheit mit unseren Zeugnissen beruht und daher ebenfalls nur eine subjektive Realität darstellen kann.
Wir sind, das ist die für die Menschheit unumstößliche Realität: Wir sind Menschheit. Und doch könnte ein einzelner Vertreter dieser Menschheit von sich behaupten, er sei der Einzige und sein Wahnsinn spiegele ihm die komplexen Vorgänge in der Welt nur vor.

So wie ich nicht meinen eigenen Hinterkopf beobachten kann, kann ich nicht sagen, ob ich nicht jener Wahnsinnige bin, der sich seine Realität in jeder Sekunde neu aus dem erfindet, was bisher an erfahrener Wirklichkeit war, die ebenso auf Basis des bislang Erfundenen erfunden wurde. So könnte für mich und meinen Wahnsinn die Realität der Zeitpunkt zwischen zwei Illusionen sein, die ich Vergangenheit und Zukunft nennte.
Weisheit ist dies noch immer nicht, genauso wenig wie Wahrheit. All dies ist eine wahre Lüge, eine interpretierte Erkenntnis des Unerkennbaren. Es ist wie die Erfindung Gottes durch den gottgeschaffenen Menschen: ein Axiom, unauflösbar, unerklärlich.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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