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Bio oder nicht bio?

Trophisches
September 27, 2012

Die neulich mit einer Talkrunde bei Günther Jauch vorzeitig beerdigte Diskussion um eine jüngst erschienene Studie über Bio-Lebensmittel ist noch nicht abschließend kommentiert. Darum hier eine verspätete Wortmeldung zu einem Thema, das eigentlich logisch, aber dennoch diskussionswürdig ist.

Was war los?
Zur Erinnerung: In der September-Ausgabe der Annals of Internal Medicine erschien ein Bericht, der 17 Humanstudien und 223 Lebensmitteluntersuchungen aus den Jahren von 1966 bis 2011 auf die Frage hin auswertete, ob denn Bio-Lebensmittel einen signifikanten Vorzug gegenüber konventionell angebauten hätten. Das Ergebnis überraschte einige, bestätigte andererseits viele Vorurteile: Bio-Lebensmittel sind nicht gesünder als konventionell angebaute*.
Die Überraschung ist allerdings nur scheinbar angebracht. Denn eine grundsätzlich ungesunde Lebensführung kann nicht durch den Verzehr von ein paar Bio-Äpfeln aufgewogen werden. Eine Umstellung der Lebensführung braucht Zeit, Zeit, die sich keine der untersuchten Humanstudien genommen hat: die am längsten durchgeführte Studie lief über zwei Jahre**.
Die Autoren des aktuellen Berichts bestreiten das nicht, im Gegenteil weisen sie darauf hin, dass die Datenlage dürftig ist. Die allgemeine Schlussfolgerung, bio sei nicht besser, basierte dennoch auf den Humanstudien, und auch ein Großteil der Diskussion wurde auf dieser Grundlage geführt. Wichtiger, aber weniger polarisierend (und daher weniger diskussionsgeeignet) ist der Nähr- und Fremdstoffgehalt von Lebensmitteln.

Was ist drin?
Konventionell und biologisch erzeugte Lebensmittel unterscheiden sich kaum hinsichtlich ihrer Nährstoffzusammensetzung. Die Erklärung dafür ist einfach: jedes Lebewesen (und dazu gehören auch Pflanzen) akkumuliert, wenn es sich natürlich ernährt, in einem art- oder sortenspezifischen Muster Nährstoffe. Wäre das nicht so, gäbe es keine Arten oder Sorten. Insofern überrascht nicht, dass eine Bio-Möhre gleich viel Wasser, Kohlenhydrate, Fett oder Eiweiß enthält wie eine konventionell angebaute. Interessanter wäre der Gehalt an nicht-nutritiven*** Pflanzeninhaltsstoffen wie z. B. Polyphenolen gewesen. Deutschsprachige Studien sind schon vor Längerem zu der Erkenntnis gekommen, dass Bio-Gemüse in der Regel einen höheren Gehalt Polyphenolen, Saponinen oder anderen sekundären Pflanzenstoffen aufweisen.
Da Funktionen und Wirkungen sekundärer Pflanzenstoffe immer noch nicht aufgeklärt sind, werden sie bei Diskussionen über Nährstoffe gerne ausgeklammert. So auch geschehen beim vorliegenden Bericht. Das ist aber verschmerzbar.

Denn wirklich relevant ist die unterschiedliche Belastung mit Rückständen und Kontaminanten. Der Verzicht auf Kunstdünger und die streng eingegrenzte Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sowie das Verbot von Antibiotika in der Tiermast führen bei Produkten aus dem Bio-Anbau zu einer deutlich niedrigeren Konzentration dieser Stoffe im Vergleich zu konventionellen Produkten. Den Autoren des Berichts zufolge habe die Zufuhr dieser unerwünschten Pflanzeninhaltsstoffe durch konventionell erzeugte Lebensmittel zwar erhöht, aber die gesetzlich festgelegten Grenzwerte nicht überstiegen. Also alles in Ordnung?
Tatsächlich gäbe es an diesem Ergebnis nichts auszusetzen, hätten Industrie und Regierung bei der Festlegung der Grenzwerte miteinrechnen können, wie sich eine jahrzehntelange Exposition mit Kontaminanten auf den menschlichen Organismus auswirkt. Bislang ist außerdem noch ungeklärt, inwiefern sich verschiedene Rückstände in ihrer Wirkung verstärken können, und welchen Einfluss diese Gesamtmengen auf das Entstehen von Zivilisationskrankheiten haben. Entsprechende Untersuchungen wären finanziell und organisatorisch zu aufwendig.
So tappt man also als Verbraucher im Dunkeln, welche Mengen an Pestiziden, Düngerrückständen und Antibiotika man wirklich aufnimmt. Sicher und von den Autoren des Berichts bestätigt ist nur: ernährt man sich mit Bioprodukten, sind diese Mengen geringer.

Was ist dran?
Wozu also die Aufregung? Warum fühlen sich Bio-Gegner dadurch in ihrer Meinung bestärkt, wieso fühlen sich Bio-Befürworter in eine argumentative Ecke gedrängt? Vielleicht, weil alle ahnen, dass es doch einen deutlichen, bisher noch nicht messbaren Unterschied gibt. Vielleicht auch, weil viele Menschen Bio-Produkte zwar konsumieren, aber nicht bezahlen wollen, und daher nach Gründen suchen, sie ablehnen zu dürfen. Vielleicht aber vor allem, weil alle, die sich in dieser Diskussion zu Wort melden, eine grundlegende Erkenntnis und eine einfache Antwort auf die Frage vermissen, wie man sich denn nun ernähren soll, um möglichst lange möglichst gesund zu bleiben.
Diese Antwort bleibt auch der vorliegende Bericht schuldig, auch wenn die Interpretation der meisten Medien das anders, fast gefährlich verfälscht nahelegt. Denn die eigentliche Quintessenz des Berichtes lautete nicht, eine weitere Erforschung des Themas könne man sich angesichts der mangelnden Wirksamkeit von Bio-Lebensmitteln sparen, sondern: man habe zu wenige Daten, um eine belastbare Aussage zum Einfluss von Bio-Lebensmitteln auf die Gesundheit zu treffen. Und das ist angesichts eines knappen Jahrhunderts an Erforschung dieses Themas der eigentliche Skandal.

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* Aus semantischen Gründen hätte man die Diskussion auch hier schon abwürgen können. Gesunde Lebensmittel gibt es im gleichen Maß, wie es kranke Lebensmittel gibt. Entsprechend gibt es nur dann gesunde Ernährung, wenn es auch kranke Ernährung gibt.

** Zum Vergleich: in der Alpha-Tocopherol Beta-Carotene Cancer Prevention Study (ATBC) trat erst nach fünf Jahren der schockierende Effekt auf, der zum Abbruch und einer großen (und sehr emotional geführten) Diskussion über Sinn und Gefahr einer Vitamin-Supplementierung führte. Es hatte sich gezeigt, dass Vitamin E und Provitamin A das Risiko für Arteriosklerose und Krebs bei Rauchern nicht nur nicht verhindern können, sondern sogar erhöhen.

*** Ist ein Pflanzeninhaltsstoff nicht nutritiv, trägt er nicht offensichtlich zur Bedarfsdeckung des Menschen bei. Das bedeutet nicht, dass diese Stoffe keine Wirkung auf den menschlichen Organismus haben, im Gegenteil sind viele Wirkungen schon so weit erforscht, dass es Industriezweige gibt, die sich auf die Vermarktung isolierter nicht-nutritiver Pflanzeninhaltsstoffe spezialisiert haben.

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