Gesellschaftsversagen: Der Französischkurs | ANDERSWOLF

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Gesellschaftsversagen: Der Französischkurs

Von der Front
November 16, 2015

Im montäglichen Französischkurs mündete die Betroffenheit über die Vorfälle von Paris rasch in eine hitzige Diskussion, in deren Verlauf die beiläufige emotional-moralische Einordnung der Teilnehmerin A. (72) als ignorante Kuh den Teilnehmer R. (63) beinahe seinen rechten Arm gekostet hätte.
Natürlich war die Thematik zu schwer für den Französischkurs. Politische Meinungen in der eigenen Sprache zu formulieren ist ja oft schon schwer genug. Soll man dann auch noch in einer Fremdsprache sachlich zu argumentieren: ein Höllenritt.

Teilnehmer W. (35) war an der Eskalation nicht unschuldig. Hätte er nicht geradebrecht, les jeunes hommes qui veulent être des terroristes sont les perdants de la mondialisation qui n’ont rien à perdre, hätte A. nicht sehr bewegt argumentiert, les hommes qui viennent maintenant de la Syrie a l’Europe ne sont pas intégrés et neuf sur dix n’ont pas de travail. Ce sont eux qui sont les terroristes de demain.
Während W. noch an les réfugiés ne sont pas les terroristes, ils fuissent à cause des terroristes bastelte, hatten sich R. und A. schon ineinander verbissen.
Nur unter Androhung einer vierseitigen Strafarbeit konnte Kursleiterin F. (46) die Streithähne das Streitgeflügel wieder voneinander trennen, die Stimmung aber war nachhaltig gestört. Während einer dreiminütigen Gruppenarbeit über die Vorteile von Leihfarrädern zerbrach A. den Lieblingsbuntstift von R., der seine Besonnenheit ausschließlich dadurch bewies, seine Rache verzögert zu servieren: unter dem Vorwand, das Fenster schließen zu wollen, erhob er sich eine Viertelstunde später und entfernte, als er A. passierte, mit raschem, aber bewundernswert präzisem Schnitt seiner Bastelschere den Dutt der Zweiundsiebzigjährigen, die sich nach einer halbe Sekunde in Schockstarre auf R. stürzte und ihm die Bastelschere entwand. Die darauffolgende Rangelei konnte nur der beherzte Einsatz eines Feuerlöschers beenden, der Kurs wurde abgebrochen, R. mit der Bastelschere im Arm ins Krankenhaus gebracht.

A. ist weiterhin auf der Flucht. Die Volkshochschule bittet um Ihre Mithilfe. Falls Sie einer mit Feuerlöschschaum besprühten älteren Dame mit amputiertem Dutt begegnen, sprechen Sie sie nicht an (vor allem nicht auf französisch), sondern wenden sich bitte an die nächste Niederlassung Ihres Bildungsinstituts.

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