29 | Das Wiedersehen | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

29 | Das Wiedersehen

Yelda
November 29, 2010
Remde war dort. Die Stadt spuckte ihn eines Tages vor mir aus. Ich war auf der Suche nach Antejar und den Brüdern. Wir hatten uns nach meiner Befreiung wiedergefunden, Antejar war schlecht behandelt worden, allerdings hatte man ihm kein körperliches Leid zugefügt. Die Brüder hatten sich für ihn eingesetzt und überraschenderweise auch seine Freilassung bewirkt. Nach dem allerdings, was Antejar über den vermeintlichen Freund, der uns verraten hatte, erzählte, hätte es nun doch einen Grund gegeben, ihn einzusperren.

Die Lage in der Stadt hatte sich ein wenig verändert. Die Nachricht von meiner Befreiung war wie ein Lauffeuer durch die Straßen gegangen. Diejenigen, die wie Sobekan Verbindung zur Magie hatten, hatten alles gespürt, hatten meine Anwesenheit ebenso wie meinen Kampf auf der anderen Seite mitbekommen. Offensichtlich hatte allein schon der Kampf und Ternos Opfer die Machtverhältnisse deutlich verschoben. Dadurch, dass die Drei einen meiner anderen Schöpfer vernichteten, ermöglichten sie es erst, dass ich wirklich Teil beider Welten wurde. Die Magier spürten das, und bei einigen war diese Wahrnehmung das einzige, das sie mit der Macht verband. Sie fanden mich in der Unterstadt, wo ich mich mit Antejar und den Brüdern zurückgezogen hatte. Wie ein Leuchtfeuer zog ich jene an, die sehen konnten. Und mit ihnen auch Remde.

Ich umarmte ihn stürmisch.
„Du lebst!“
Remde löste sich aus meiner Umarmung und mit einem schiefen Blick sagte er: „Sollte ich nicht leben?“
„In einer Vision habe ich gesehen, wie die Drei das Dorf zerstörten. Ich befürchtete, auch Du wärst ihnen zum Opfer gefallen.“
„Sie haben das Dorf nicht zerstört. Sie haben jene bestraft, die gegen sie waren.“
„Bestraft? Remde, was sagst Du? Sie wollten nur, dass die Drei wieder gehen.“
Remde lachte, doch ohne Freude. „Und das ist kein Widerstand, den es zu bestrafen gilt?“
„Sie wollten doch nur in Frieden gelassen werden.“ Ich ging einen Schritt zurück. Fremd war mir dieser kalte Ton an ihm, das Fehlen von Herzlichkeit in seiner Stimme, von Freude. „Remde, was ist Dir geschehen?“
„Was sollte geschehen sein?“
ich blickte ihn an, und dann fiel mir auf, was ich unbewusst schon die ganze Zeit wahrgenommen hatte. Er strahlte Kraft aus, Stärke, Magie. „Was haben sie Dir angetan?“
„Nichts haben sie mir angetan.“
„Du trägst ihre Kraft. Sie haben Dich verändert.“
„Sie haben mich stark gemacht, das ist wahr. Ich war verletzt, verbrannt, falls Du Dich erinnerst.“
„Remde, es tut mir leid, ich wollte Dich nicht verletzen, erinnere Dich, ich habe Dich gebeten, Dich von mir fernzuhalten …“
„Als ob Du nicht gewusst hättest, dass ich das nicht konnte. Ich habe Dich geliebt, Yelda, ich habe nur für Dich gelebt.“
„Und jetzt lebst Du für die Drei?“
„Ich lebe für mich.“
„Nein. Du magst es vielleicht nicht sehen, aber ich bin nicht so blind wie Du.“
„Nenne mich nicht blind! Du weißt, dass ich es nicht bin, dass ich sogar noch weit mehr sehe als Du! So wie es immer schon gewesen ist. Du bist diejenige ohne Vergangenheit, ohne Wissen über sich selbst und die Welt. Ich musste Dir alles beibringen!“
„Remde, bitte höre mir zu. Die Macht, über die Du zu verfügen glaubst …“
„Du zweifelst an mir? Soll ich mich Dir beweisen?“
„Remde, nein! Ich zweifle nicht an Dir, ich bezweifle, dass Du weißt, welchen Pakt Du geschlossen hast.“
„Glaub nicht, dass Du mir überlegen bist. Woher willst Du wissen, welchen Preis ich zahlen musste, um zu erlangen, was ich jetzt habe?“
„Mandu“, sagte ich leise.
„Was?“
„Mandu. Du hast sie getötet. Du hast Deine Seele mit ihrem Blut befleckt. Du hast das letzte genommen, was ihr geblieben war.“
Er starrte mich an, und ich wusste, dass ich recht hatte.
„Es war ihre Bedingung. Sie haben Dich vor die Wahl gestellt, ob sie Dich tötet oder Du sie. Du hättest nicht wählen müssen.“
„Was meinst Du?“ Sein Ton war ruhiger, verletzlich vielleicht, denn ich hatte mit allem recht und auch seine Zweifel geahnt.
„Sie hätten niemals Mandu gewählt. Sie hätten Mandu nicht die Kraft geben können, die ich ihr bereits genommen hatte. Mandu war am Ende ihrer Kraft, der Kampf mit mir hat sie mehr gekostet als den Schutzwall um ihre Insel. Es hat sie selbst zerstört.“
„Es macht keinen Unterschied. Sie haben mich gewählt, sie haben mir Kraft gegeben, die selbst Deine Kraft übertrifft.“
„Aber wozu, Remde? Ich weiß, wie begierig Du das haben wolltest, was ich nicht nutzen konnte. Du hast heimlich geübt zu lauschen, hast versucht, die Kraft zu spüren, den Zauber zu finden. Du wolltest sein wie ich.“
„Nein, ich wollte niemals sein wie Du. Armselig, einsam, traurig, unwissend. Was mir die Drei gegeben haben, ist mehr als ich mir jemals erträumt habe. Ich bin einer der ihren geworden.“
„Also bist Du einer der Drei?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Wieso glaubst Du dann, einer von ihnen zu sein, wenn sie Dich nur als Handlanger sehen und nicht als Ebenbürtigen?“
„Ha! Ich verstehe, was Du willst. Du willst mich doch nur verunsichern.“
„Ich will Dir die Augen öffnen.“
„Du lügst!“
„Ich lüge nicht! Terno, der zuerst nach mir gesucht hat, er war wirklich einer von ihnen.“
„Und darum meinst Du, diejenigen zu erkennen, die zu ihnen gehören oder nicht?“
„Sie haben ihn vernichtet, als er ihnen nicht mehr nutzte.“
„Er hat sie verraten.“
„Er hat mich beschützt.“
„Gegen die Drei.“
„Ja, gegen die Drei, die mich vernichten wollten.“
„Sie wollten Dich nicht vernichten, sie wollten Dich schützen. Und sie wollten die Welt vor Dir schützen.“
„Sie wollten sich selbst vor mir schützen.“ Ich atmete tief durch. Remde sah einerseits müde aus, als hätte er seit Wochen nicht mehr geschlafen, andererseits aber so aufgedreht, als tränke er gerade direkt von der Quelle der Kraft. „Remde, siehst Du denn nicht, was sie sind? Sie benutzen Dich als Werkzeug, wie sie mich als Werkzeug benutzen wollten. Sie wissen, dass sie nur noch in ihrer Welt gegen mich bestehen können, darum brauchen sie jemanden, der mich in dieser Welt angreift.“
„Weder bin ich ihr Werkzeug, wie Du es auszudrücken wünschst, noch plane ich einen Angriff auf Dich.“
„Warum bist Du dann hier?“
„Ich habe Dich gesucht, um Dich davon zu überzeugen, Dir von den Dreien helfen zu lassen. Sie wollen Dir nichts Böses, es ist allein die Welt und die Wirklichkeit, um die sie sich sorgen. Sie haben einen schrecklichen Fehler bei Deiner Erschaffung gemacht, den wollen sie wieder gut machen. Dir wird dabei nichts geschehen, wenn Du Dich nicht wehrst.“
„Hör Dir doch selbst zu, Remde. Du bist das Sprachrohr ihrer Drohungen geworden. Siehst Du denn nicht, dass Du nur benutzt wirst?“
„Ich bin ihr Bote, das ist wahr, aber nur, weil sie in dieser Welt nicht existieren können.“
Ich sah, dass es zwecklos war, Remde zur Räson bringen zu wollen. Die Drei hatten ihn mit dem Geschenk von Mandus Macht korrumpiert. Ich konnte es nachvollziehen, denn was war erfüllender, als endlich das zu besitzen, das man sich schon seit langem wünschte. Und dann wurde mir Remdes tatsächlicher Auftrag klar.
„Haben die Drei Dir verraten, warum Mandu sich dafür entschieden hat, in dieser Welt zu leben? Haben Sir Dir verraten, warum sie nicht mehr auf der anderen Seite war, sondern bei uns?“
„Ich wüsste nicht, welche Rolle das spielt.“
„Sie ist geflohen, Remde. Sie hat sich vor den Dreien versteckt. Sie hatte Angst, Angst vor der Dunkelheit, die ich bringen würde, Angst vor den Verfolgern, die ich ihr an die Schwelle ihres Reiches gebracht habe. Darum hat sie mit allen Mitteln versucht, mich daran zu hindern, ihren Schutzwall zu durchbrechen.“
„Mandu ist tot, und das ist das einzige, was zählt. Ihre Taten sind ebenso unwichtig wie die Dinge, die sie wollte.“
„Haben die Drei Dir gesagt, dass sie einen Krieg in ihrer Welt führen? Ihre Art bekämpft sich, und die Drei sind jene, die am wenigsten Rücksicht auf ihre eigene Art nehmen. Mandu wusste das, Mandu wusste es, und erkannte mich sofort. Darum hat sie mir einen sterblichen Körper gegeben, darum hat sie mich an ihre Insel gebunden. Sie wollte sicherstellen, dass ich nicht mehr gefunden werden kann, nachdem Du mich zu ihr gebracht hattest.“
„Mandu wollte das Dorf vor der Dunkelheit schützen, die Dir folgte. Nichts anderes wollen die Drei. Sie wollen Dich Deiner wahren Bestimmung zuführen.“
„Und die wäre?“
„Du sollst den Ausgleich schaffen zwischen den Welten. Du sollst sie miteinander verbinden, damit sie sich nie wieder voneinander lösen. Du sollst sie unsterblich machen.“
„Du irrst Dich, Remde. Ich soll die Drei unsterblich machen und unbesiegbar. Sie wollen nicht nur in ihrer Welt unbesiegbar sein, sondern auch in dieser Welt. Sie wollen nichts anderes als Herrschaft über alles Leben. Ich sollte ihr Tor sein, ihre Brücke, ihr Agent. Und jetzt haben sie Dich.“
„Nicht ich bin es, der sich irrt. Du gehst fehl in allem, was Du sagst.“
„Nein. Und Remde, erinnere Dich an etwas, das ich Dir vor langer Zeit sagte: ich höre nicht nur die Worte, die gesprochen werden, sondern auch das, was ungesagt bleibt. Ich kenne Deine wahren Gründe, warum Du mich gesucht hast. Und ich kann Dir sagen, es wird Dir nicht gelingen.“
Zum ersten Mal schien Remde wirklich zu zögern. „Was meinst Du?“
„Tu doch nicht so. Was könntest Du wollen, jetzt wo Du hast, was Du wolltest?“
„Ich habe nicht, was ich wollte, ich habe, was ich mir verdient habe.“
„Du hast mit einem Mord etwas erkauft, was nicht für Dich bestimmt war. Und es reicht nciht, habe ich recht?“
„Yelda, ich weiß nicht, was Du meinst.“
„Sie haben Dir genug Macht gegeben, um Mandu zu besiegen, und sie haben Dir genug Macht gegeben, um zu spüren, was Du noch werden könntest.“
„Ich habe, was mein ist.“
„Sie haben Dir meine Kraft in Aussicht gestellt, wenn Du mich ihnen zuführst.“
„Yelda, das ist nicht wahr.“
„Du sollst das Werkzeug sein, das meine Existenz vernichtet.“
„Sag das nicht, hör auf.“
„Du sollst mit mir das gleiche machen wie mit Mandu.“
„Yelda, zum letzten Mal, sei still.“
„Du sollst mich vernichten.“
Halb hatte ich mit dem Angriff gerechnet, die Hoffnung allerdings, dass ich mich täuschte, machte mich träge. Sein Gedankenschlag brannte in mir, doch konnte ich die schlimmste Wirkung ablenken, so dass ich zwar getroffen, aber nicht ernsthaft verletzt war. Seine weiteren Angriffe konnte ich mit einem einfachen Schild abblocken, durch den ich zwar nicht angreifen würde können, wenn Remde darauf wartete, doch vorerst hatte ich nicht vor, Remde zu verletzen.
Noch nicht.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
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