Schwulsein | ANDERSWOLF

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Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Schwulsein

Usus operi
Mai 11, 2011

Die Nachbarin weiß nicht, wie sie in Gesprächen mit mir meinen Lebensgefährten benennen soll. Meinen Kumpel nennt sie ihn manchmal, öfter nennt sie das, was sie für seinen Namen hält, sie hat es nicht so mit dem Lesen des Klingelschilds. Dass wir aber mehr als nur Mitbewohner sind, versteht sie.

Meinen Lebensgefährten nenne ich umschreibend oft „den Freund“, obwohl er mehr ist als das. „Freund“, das klingt in Facebookzeiten nicht näher als „Kollege“, „Bekannter“, „Jemand“, auch wenn meine Facebook-Freunde bis auf wenige Ausnahmen wirklich echte Freunde sind, also Menschen, mit denen ich gerne Zeit verbringe. Der Freund aber ist mehr als das, er ist in den letzten fast zehn Jahren zu einem Teil von mir geworden, er ist in mein Leben und meine Seele gewachsen wie ein Baum, der nah an einem anderen steht: mit der Zeit kann man kaum noch erkennen, dass sie einmal einzeln waren.

Dass ich schwul bin, habe ich in der Pubertät entdeckt, habe es vor 12 Jahren jedem gesagt, der es wissen wollte, und vor allem jedem, den es nicht interessierte. Und heute spüre ich jedes Mal die Angst vor einer Ablehnung, wenn mich jemand nach meinem Beziehungsstatus fragt. Das sind im Grunde harmlose Fragen: ob ich meiner Freundin ein guter Hausmann sei, ob ich alleine im Urlaub gewesen sei, wie ich mir alleine eine so große Wohnung in so einer Gegend leisten könne, ob ich schon Kinder habe. Jedes Mal spüre ich in mir diese instinktive Abwehr, die mich von meinen Gesprächspartnern entfernt, die mich nicht einfach sagen lässt, dass ich meinem Lebensgefährten manchmal ein guter Hausmann sei, häufiger aber hoffe, die Hausarbeit würde sich von alleine erledigen. Dass nicht ich die Familie im Ausland habe, sondern der Freund, dessen Einkommen es uns die Wohnung ermöglicht. Und dass ich ein Patenkind habe, meine Mutter sich Enkel wünsche und ich zwar ein guter Erzieher sei, aber wenn, nur ein Vater durch Samenspende.

Offensichtlich habe ich mich irgendwann dazu entschieden, unauffällig zu sein, so etwas wie normal. Als ob Norm und Normalität nicht-relative Begriffe seien, objektive Wahrheiten am Ende gar und nicht einfach nur eine Geschmacksfrage. Als ob es mir ein besseres, leichteres Leben ermöglichen würde, mich dem Durchschnitt der Bevölkerung anzupassen. Als ob mir sowas auch nur ansatzweise gelänge. Als ob ich nicht ohnehin in allen Belangen zumindest subtil kontrastierte.

Und damit bin ich dann wohl doch normal geworden, denn wer ist schon gerne Teil der breiten Masse, wer ist denn in allem konform?

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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