26 | Smaragd | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

26 | Smaragd

Yelda
November 24, 2010
Bevor ich die jenseitige Welt gesehen hatte, war sie in meiner Vorstellung wie der Grund eines Sees: erahnbar und doch weit fort, mit Formen und Farben, die bis an die Wasseroberfläche heranreichten und nur selten darüber hinaus. Alles, was dort unten, oder eben jenseitig, vorging, blieb demjenigen, der am See stünde und die Oberfläche betrachtete, verborgen.

Von der anderen Seite aber, von unten, könnte man, so dachte ich, sehen, was an Land geschehe, man beobachte genau, ohne gesehen zu werden, man handle, ohne dass die eigenen Handlungen Einfluss auf das Leben in der Wirklichkeit haben müsse. Erst wenn man sich entscheide, den Spiegel zu durchbrechen, könne man außerhalb der Tiefen etwas bewirken.
Tatsächlich aber ist die jenseitige Welt etwas, das uns überall wie eine zweite Haut begleitet. Es haftet allen Dingen an wie ein Wasserfilm, den Nebel auf die Landschaft legt. In allen Dingen liegt ein Tor zur anderen Welt, man muss nur hindurch zu gehen vermögen. Mittlerweile weiß und kann ich das, doch im Kampf mit den Dreien, Rubin, Saphir und Korund, konnte ich das noch nicht sehen, zu verzweifelt versuchte ich, mich zusammenzuhalten und nicht meinen Geist in den Strömen der Kraft, die mich in Richtung der Drei durchbrachen, zu verlieren. Mit dem, was ich heute weiß, hätte ich den Kampf gewinnen können. Andererseits musste ich diesen Kampf verlieren, um später gewinnen zu können.

Mein Wesen zerfaserte immer mehr. Von dem, was mich, was Yelda ausgemacht hatte, war unter den reißenden Angriffen der Drei wenig geblieben. Mit Anstrengung nur noch konnte ich drei Worte fassen: Ich bin Yelda. Ich bin Yelda. Ich bin Yelda.
Zuletzt bestand meine Gegenwehr nur noch daraus: zu schreien.
„Ich bin Yelda! Ich bin Yelda! Ich bin… Ich…“
„Yelda!“ Der Ruf verwirrte die Drei, die immer noch in Schwaden um mich wirbelten und meine Essenz an sich zogen. „Yelda!“
Und dann, nur Momente, bevor ich vernichtet gewesen wäre, erschien in einem strahlend grünen Licht, Smaragd und Sommergras, Terno. Er warf sich in den Kampf, schlug nach Saphir und Korund, die erschüttert zurückwichen. Ich spürte im Zurückfließen der Kraft zu mir ihren Ärger und ihre Verwirrung, doch auch Widerwillen, einen der ihren zu bekämpfen.
„Terno!“ Ich konnte nicht anders, ich musste seinen Namen rufen, bevor ich schrie: „Ich bin Yelda!“
„Yelda“ rief er: „Du musst fliehen, Du musst zurück. Du darfst nicht hier sein, dies ist nicht der Ort Deiner Stärke. Hier kannst Du sie nicht besiegen.“
Er wich einem roten Hieb aus. „Zu dritt sind sie zu stark für mich. Flieh! Ich kann sie nicht aufhalten, nur verlangsamen.“
„Ich kann nicht zurück, ich bin verloren.“
„Du bist nicht verloren, Du bist nur weit fort. Ich kann Dir helfen!“
„Du wagst es?“ Es war nun Saphir, dessen Angriff Terno traf. Das grüne Leuchten flackerte für einen Moment, dann gewann es wieder an Stärke. „Ich wage es! Ihr seid keine Herrscher über mich, Ihr könnt mich vernichten, aber nicht besiegen!“
„Narr!“ rief Korund, deren gelbes Schimmern über uns stand, während Rubins Rot unter uns glomm. „Du bindest Dich an Nichts, an einen Fehler im Gewebe.“
„Yelda ist kein Fehler! Wir haben sie geschaffen, alle Fehler, die sie sein und haben könnte, wären und sind unsere.“
Ich war schockiert. Terno und die Drei hatten mich erschaffen? Als die Drei gesagt hatten, ich wäre ihr Geschöpf, hatte ich Ihnen nicht geglaubt. Dass dies aber stimmen sollte und, viel schlimmer, auch Terno an meiner Erschaffung Anteil haben sollte, erschütterte mich. Auf der anderen Seite erklärte es seine Flucht damals am Fluss. Er hatte Angst, ich würde herausfinden, dass ich sein Werkzeug sein sollte.
„Unser einziger Fehler war die Allianz mit Dir. Wir hätten nicht auf Dich hören sollen, als Du uns rietest, unsere Macht zu vereinigen. Sie ist das Ergebnis Deiner Täuschung!“
„Yelda ist das Ergebnis Eurer Angst vor dem Untergang.“
„Still!“ Rot überflutete uns.
„Ihr hattet Angst vor Eurer Endlichkeit!“
„Es war genauso Deine Angst!“
„Es ist auch Deine Endlichkeit!“
„Ich habe keine Angst mehr davor, zu enden. Ich habe keine Angst mehr vor Euch. Yelda ist nicht mehr Euer Werkzeug, sie ist es nie gewesen.“
„Sie wird nach Dir vernichtet werden!“
„Sie wird hier enden!“
„Sie kann nicht fliehen!“
„Sie kann nicht fliehen, aber ich kann sie retten!“
Rubin, Saphir und Korund stießen auf uns herab, doch Ternos grünes Leuchten wich nicht zurück, sondern dehnte sich aus, umfasste mich, schützte mich vor den Angriffen der Drei, die stärker und stärker wurden, von Schlag zu Schlag wurde Ternos Selbst mehr erschüttert, so sehr, dass ich die Einschläge bald auch selbst spürte. Sie raubten mir keine Kraft, aber sie machten mir Angst. Vor allem aber fürchtete ich um Ternos Leben, denn er war sichtlich unterlegen, er wehrte sich kaum, schlug nicht zurück, sondern formte nur einen Schild um mich, als gäbe es nichts anderes, was ihm noch etwas gälte.
„Yelda“, fühlte ich seine Stimme in meinem Geist. „Ich werde Dich zurückbringen. Es ist alles, was ich noch für Dich tun kann. Es tut mir leid, dass ich Dir nicht mehr die Antworten geben kann, die ich Dir schuldig bin.“
„Du hättest sie mir am Fluss geben sollen.“
„Ich hatte Angst, Du könntest mich hassen, Du könntest Dich gegen mich wenden, wenn Du erkennst, welche Rolle ich wirklich gespielt habe bei Deiner Erschaffung.“
„Terno, ich hatte keine Vergangenheit, mich machte immer nur aus, was ich tat und wie ich mit den Konsequenzen umging. Du hast mich gerettet, im Dorf und vielleicht schon vorher und jetzt erneut. Ich bin Dir dafür dankbar, und ich wäre Dir noch dankbarer gewesen, hätte ich die Wahrheit gekannt.“
„Auch wenn sie Dein Vertrauen in mich erschüttert hätte?“
„Schweigen und Lügen schaden mehr als die Wahrheit es vermocht hätte.“
„Du hast recht. Umso wichtiger ist, was ich Dir jetzt noch mitgeben kann.“
„Sie werden Dich vernichten, wie sie mich vernichten wollen, habe ich recht?“
„Ich bin von ihrem Verbündeten zu ihrem Feind geworden, sie werden mich nicht schonen. Dazu geht es um zu viel. Als wir Dich schufen, solltest Du sicherstellen, dass die Ströme der Kraft und des Lebens nicht versiegen. Mit Dir wollten wir sie aneinander binden, sie miteinander verknüpfen.“
„Wie hätte ich das gemacht? Und was ist schiefgegangen?“
„Um das zu erklären fehlt mir die Zeit. Nur so viel: es gab keinen Fehler mit Dir, allein der Gedanke war falsch. Wir hätten uns nicht in die Struktur der Wirklichkeit einmischen dürfen. Seit wir das getan haben, seit Du in der Welt bist, verliert unsere Welt an Struktur, an Essenz. Mit Deiner Erschaffung haben wir ein Loch ins Gewebe der Wirklichkeit gerissen, durch das wir seither Kraft verlieren.“
„Was kann ich tun?“
„Du musst die Regeln ändern. Ich weiß nicht genau wie. Wir wollten unsere Welt sicherer machen und haben sie der Zerstörung preisgegeben. Irgendwie musst Du das Netz wiederherstellen, sonst werden sie Dich vernichten wollen.“
„Um mich zu retten, muss ich diejenigen retten, die Dich vernichten werden?“
„Du musst die Regeln ändern. Es ist nicht gesagt, dass die Drei danach gerettet sind. Du musst entscheiden, ob Du Dich opferst oder die Welten näher aneinander führst.“
„Es ist zu spät. Kraft strömt in die Welt, die Zahl der Zauberer nimmt zu. Sobekan hat es mir gesagt, er sieht die Ströme, er sieht auch mich. Er ist ein Gefangener, wie ich auch gefangen wurde.“
„Dich zu opfern wird ihn nicht retten. Du hast keine Wahl mehr. Ändere die Regeln.“
„Ich werde es versuchen.“‚
„Versuchen wird nicht reichen. Jetzt geh.“
„Wie?“
„So!“
Ternos Grün hüllte mich für einen Moment vollständig ein wie eine Haut, dann fühlte ich einen Stoß, als er sich von mir löste und all seine Kraft gegen Rubin, Saphir und Korund richtete. Als ihre Energien gegeneinanderstießen, fühlte ich einen weiteren Stoß, der mich immer weiter in die Lichtlosigkeit am Rand der jenseitigen Welt drängte. Und es war vor diesem Hintergrund und dank der Erfahrung, auf das Wesentliche meiner Essenz reduziert gewesen zu sein, erkannte ich eine schwache Verbindung zur wirklichen Welt. Ich konnte mich wieder spüren, konnte den kalten Stein unter meinem Körper spüren und die Hände von Soldaten, die auf ihm lagen. Zwischen meinem Geist und meinem Körper lag eine dünne Schicht aus Wirklichkeit, die mich noch trennte, und ich fühlte Sobekans Geist auf der anderen Seite und hörte die Schreie des Jungen in seiner Zelle und fühlte plötzlich den Schmerz in meinem Körper, den mir die Soldaten zufügten, einen Schmerz, der mich zu Bewusstsein hätte bringen müssen, wäre ich noch in meinem Körper gewesen. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie es gewesen war auf Mandus Insel, wie es in meinen Visionen gewesen war und während der Übungen mit Sobekan, als ich wieder und wieder Besitz von meinem Körper genommen hatte, selbst als ich erschöpft und müde war. Doch ich konnte die hauchdünne Barriere der Wirklichkeit nicht durchbrechen, ich fühlte immer noch Rubin, Saphir und Korund in meinem Rücken, spürte, wie sie gegen den letzten Rest von Ternos Essenz kämpften, und ich dachte an sein Opfer und seine Worte und daran, dass ein Teil von mir sterben würde, wenn ich seinen Tod hier erleben würde und nicht auf der anderen Seite.
Und dann brach mir einer der Soldaten die Hand, und der Schmerz zog mich so rasch durch die Wand zwischen den Welten, dass mein Körper sich aufbäumte und die Soldaten von mir geworfen wurden. Ich war nackt und verletzt, die Soldaten aufgebracht und verwirrt, und obwohl ich nicht genau wusste, was vorgefallen war, wusste ich, dass ich mir nichts mehr gefallen lassen musste. Ich hatte den Kampf gegen die drei Anderen verloren, und Terno hatte sein Leben gegeben, um mich zu retten, damit ich die Regeln änderte.
Und vielleicht war es sein Tod gewesen oder einfach nur der Umstand, dass ich bar aller Eigenschaften nur noch ich selbst in der jenseitigen Welt gewesen war, doch ich spürte, dass sich etwas geändert hatte. Was ich seit meinem Erwachen unter den Bäumen immer gespürt hatte, das Lauern von Kraft in allen Schatten der Welt, die Drohung von Dunkel und Verderben, es war verschwunden. Das erste Mal seit meinem ersten Gedanken in dieser Welt fühlte und wusste ich, dass ich meine Kraft einsetzen konnte, ohne die Welt zu zerstören.
Und das tat ich.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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