Abschiede | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Abschiede

Trophisches
Oktober 31, 2011

Die letzten Wochen über war es still, der Herbst fällt wie ein Schatten über Deutschland, wo doch eben noch – so dachte ich – Sommer war. Die Wege teilt man sich mit Laubbergen und kunstbepelzten Rentnerinnen, die miteinander schwatzen, während die Herren dahinter sich an Strände denken, wo sie zwar den Bauch einziehen müssen, aber wenigstens das ewige Geplauder mit dem Meeresrauschen verschmilzt.

Der Herbst fordert Entscheidungen, Abschiede, Kürbissuppe. Trifft sich, denke ich, Kürbis mag ich, Suppe kann ich und Kürbiskernöl habe ich noch drei Liter. Tatsächlich aber sind die Damen vom Markt gegen mich, sie haben nicht den herrlich aromatischen Muskatkürbis, sondern nur den allgegenwärtigen, ganzjährig verfügbaren Hokkaido. Was soll ich auf den Markt gehen, frage ich die Damen, wenn Sie Sie nichts verkaufen, was ich nicht auch im Supermarkt bekommen kann?
Lieber Herr, sagen die Damen, auf den Markt geht man nicht der Lebensmittel, sondern der Leute wegen. Im Supermarkt bekommen sie unfreundliche Gesichter entgegengehalten und rüde das Wechselgeld zugeworfen. Auf dem Markt aber gibt es ein Lächeln und ein Hallo, da freuen sich alle des gegenseitigen Wiedererkennens und außerdem bringen wir ab November Glühwein mit, da dürfen Sie nippen, lieber Herr, aber wirklich nur Sie, weil wir Sie so lieb haben.

Wie könnte ich da anders als doch Hokkaido kaufen und Suppengemüse und Eier, die ich zwar nicht für die Suppe brauche, aber für die Salzburger Nockerl. Die Eier, versichert mir die Kürbisdame, seien glücklich freilaufend; und ich sehe lieber kurz in den Karton, um zu gucken, ob da nicht am Ende noch Füßchen aus den Eiern hängen. Glück gehabt, denke ich, als ich keine Füßchen sehe. Andererseits sollen ja frisch ausgekochte Hühnerfüße ein ausgezeichnetes Grippeprophylaktikum sein, und die kommt ja auch bald wiederdie Grippe, die ersten Hysteriker wollen sich schon impfen lassen. Schweren Herzens verzichte ich dann eben auf die Hühnerfüße, muss ich eben Obst und Gemüse und Salzburger Nockerl und Kürbissuppe essen. Wird sich leben lassen damit.

Zuhause mache ich, ich bin ja ein altmodischer Mensch, erst mal die Brühe. Oha, wird da einer sagen, was soll das denn, muss das sein, ist das nicht des Aufwands zu viel?
Natürlich schaue ich mich dann erst mal um, denn ich dachte, ich bin allein in der Küche, schaue in den Schrank und alle Schubladen, ob nicht doch einer da ist, der sich darüber mokiert, dass ich meine Brühe selber mache. Ist aber keiner da. Sage ich also dem Herd und dem Topf und dem Suppengemüse, dass es stimmt, Brühe kann man auch kaufen, Pferde und Autos ja auch, Heizdecken und Haartrockner, von irgendwas müssen ja auch andere Leute leben, kann ja nicht jeder so privilegiert sein wie ich und einfach nur fürs Tollsein bezahlt werden. Also gibt es Leute, die aus Gemüse, das sich nicht verkaufen lässt, Pulver machen, für das die Menschen gerne Geld geben, denn so einen Trick, Pulver aus Sachen machen, den kann jetzt auch nicht jeder. So funktioniert, sage ich der Möhre, Kapitalismus oder Marktwirtschaft oder Beutelschneiderei, ich weiß nicht genau, ich bin Ernährungs-, kein Wirtschaftsfuzzi. Und weil ich weiß, dass der Möhre noch eine Frage auf der Zunge liegt, schneide ich sie schnell klein. Das restliche Gemüse ist jetzt so verängstigt, dass es keine Lust mehr hat zu streiten.

Für die Brühe schneide ich Möhren, Sellerie, Lauch, Zwiebeln in grobe Würfel, werfe sie in einen Topf mit einer Knoblauchzehe, zwei geviertelten Tomaten, zwei Lorbeerblättern und einem Schwupp Wacholderbeeren. Ich zähle die nicht. Wozu auch.
Mit Wasser bedecken, erhitzen, eine Stunde offen köcheln lassen, dann durch ein Sieb passieren und ausdrücken (oder durch die Gemüsemühle drehen). Fertig. Hat doch gar nicht wehgetan.

Für die Suppe habe ich derweil schon mal eine Zwiebel gehackt und den Kürbis entkernt und gewürfelt, was ja beim Hokkaido recht einfach ist, weil man sich das Schälen schenken kann. Dafür schmeckt er halt auch nicht so fein.
Das Gewürfel schwitze ich in Butter an, dann gebe ich einen Liter Brühe zu und lasse wieder köcheln, diesmal so ungefähr 20 Minuten, bis die Kürbiswürfel ihre Form verlieren und/oder leicht zerdrückbar sind. Dann pürieren. Die Könner machen das ohne Spritzschutz, und auch ich mache das – obwohl ich kein Könner bin – ohne Spritzschutz. Entsprechend sehe ich danach aus und muss mich kurz umziehen, bevor ich Sahne anschlage, Kürbiskerne röste, das Kürbiskernöl aus dem Schrank hole, die Suppe in Teller gebe, einen Sahnehaufen draufgebe und diesen mit Kürbiskernen und Öl dekoriere. Und weil ich kein Foodstylist bin, zerläuft die Sahne dann schon, während ich noch ein paar Fotos mache. Später stelle ich fest, dass alle unscharf sind bis auf eines, und das ist schief.
Egal, denke ich mir, denn das wichtige ist ja, dass man es warm hat im Bauch. Und da ist es dann auch egal, dass man den dann nicht einziehen kann, weil man den Herbst dann ja doch gar nicht mehr so schlimm findet.

PS. Falls Sie sich im Übrigen fragen, was das mit den Abschieden soll: ich frage mich das auch schon eine geraume Weile. Haben Sie eine Antwort?

PPS. Und falls Sie sich darüber hinaus noch fragen, wieso denn jetzt keine Nockerl kommen, dann sage ich: das nennt sich Cliffhanger.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
Impressum

Und nein,
ich will Eure Cookies nicht.
Datenschutzerklärung

Anderswann