34 | Remdes Wandlung | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

34 | Remdes Wandlung

Yelda
November 30, 2010

Undeutlich erinnere ich mich daran, wie Antejar Bamar fortbrachte. Der Junge weinte und schrie und schlug nach dem Schiffahrer, der ihn aber ohne Zögern mit sich hinwegnahm. Als ich Antejar lange Zeit danach wiedersah, berichtete er mir, wie schrecklich es für Bamar danach geworden war, wie unverständlich es für ihn war, dass sein Bruder sich eingemischt hatte, und dass sein Platz immer an Bamars Seite hätte sein müssen. Er, Antejar selbst, habe sich in den folgenden Jahren abwechselnd Vorwürfe gemacht und sich von ihnen freigesprochen. Nie habe er den Jungen festhalten können, er habe nicht mehr damit rechnen können, dass Baneh sich in unseren Kampf einmsichen würde.
Ich versuchte, ihn zu beruhigen, doch fielen mir nur wenige Worte ein, die ich ihm hatte sagen können. Es sei nicht seine Schuld, er könne sich die Verantwortung dafür nicht geben. Der einzige, der wirklich verantwortlich für Banehs Tod war, war Remde. Niemand, nicht einmal ich, die ich nur den Bruchteil eines Augenblicks vorher gespürt hatte, dass Remde Magie gegen den Jungen einsetzen würde, hatte noch etwas tun können.
Bamar sah ich nie wieder. Antejar berichtete mir, dass er zwar mit dem Schiffahrer noch viel herumgereist war, doch irgendwann habe ihn die Erinnerung an seinen Bruder, die er für immer mit Antejar verknüpfte, nicht mehr ertragen können, und sei weiter nach Norden gegangen. Später habe ihn noch einmal eine Nachricht von Bamar erreicht, in der er schrieb, es gehe ihm besser, er arbeite wie Antejar als Bootsführer für den Herrscher des Landes, in dem er lebe. Ich habe nie versucht ihn zu finden, denn ich ahnte, dass er nicht glücklich über meinen Besuch gewesen wäre.

Ich war wie betäubt. Remde hatte vor meinen Augen einen Menschen getötet. Und nicht nur irgendeinen Jungen, sondern Baneh, der mir vertraut hatte. Baneh, der langsame, aber herzensgute Junge, der sein ganzes Leben seinem Bruder gewidmet hatte, und der jetzt erst ansatzweise frei zu werden begann, hatte seine Treue und seine Freundschaft zu mir mit dem Leben bezahlt. Remde hatte ihn getötet, ein Mann, den ich meinen Freund genannt hatte, und der mich offen in Gegenwart des Jungen bedroht hatte. Und ich hatte nichts getan, um ihn zu retten. Alles was ich jetzt noch tun konnte, war ihn rächen.

Doch als ich Remde ansah, als ich seinen Blick sah, der so ungläubig, so entsetzt aussah, erinnerte ich mich an den Ekel, an den Selbsthass, den er verspürt hatte, als er Mandu vernichtet hatte.
„Ich wollte das nicht.“ Remdes Worte waren leise, kaum zu hören, doch die Stille, die uns umgab war so vollständig, dass ich ihn gut verstand. Und ich verstand auch, dass es wirklich nicht in Remdes Absicht gewesen war, Baneh zu verletzen. „Ich wollte das nicht.“
„Ich verstehe, dass Du es nicht wolltest.“
„Ich wollte doch nur, dass er aufhört. Ich habe die Kontrolle verloren.“
„Ach, Remde.“ Das war alles, was ich sagen konnte, denn eigentlich wollte ich ihn anschreien und meine Wut und meine Angst und meinen Schock und meinen Verlust einfach herausbrüllen, obwohl ich wusste, dass es nicht nur nichts mehr daran ändern würde, dass Baneh unwiederbringlich verloren war, sondern dass es vielleicht alles noch schlimmer gemacht hätte.
„Ach, Yelda. Es ist alles wahr. Sie haben mich benutzt! Sie haben mich zu ihrem Werkzeug gemacht, das nur eines kann: töten und vernichten. Ich bin das, was sie von Dir erwarteten: eine Waffe, die sie gegen ihre Feinde einsetzen könnten.“
Ich kniete mich neben ihn und wollte meine Hand auf seine legen, doch er wehrte mich ab.
„Du solltest mir nicht vertrauen. Ich würde es auch nicht tun. Ich habe nur begrenzt Kontrolle über meine Kraft. Sie haben mir nicht alles verraten, sie haben mir gesagt, ich müsste Deine Kraft an mich nehmen, um meine …“ Er machte eine Pause, in der er seine Hände auf sein Gesicht drückte.
Er hatte recht, das wusste ich, wenn er mich warnte, mich ihm zu nähern ohne vorsichtig zu sein. Also legte ich einen Schild um mich, der alles, was er gegen mich richten konnte, auf ihn zurück würfe.
„Ich müsste Deine Kraft an mich nehmen, um Mandus Kraft vollständig zu meistern. Ich habe ihre Kraft an mich genommen, aber ich habe auch ihre Erinnerungen. natürlich wusste ich, dass sie geflohen ist, ich wusste, dass sie eine Verfolgte war und ich verstand auch endlich ihre Motive, als sie Dich sterblich machen wollte.“
„Mandu hatte Angst.“
„Ja. Sie hatte Angst, und Du solltest sie auch haben. Die Drei sind entschlossen, Dich zu vernichten, sie werden nicht eher ruhen, bis sie ihr Ziel erreicht haben.“
„Wir können sie besiegen.“
„Nein. Keiner kann sie besiegen. Sie sind drei der mächtigsten Jenseitigen. Smaragd, den Du als Terno kennst, war mächtiger als sie es sind, und durch seinen Tod sind sie nur stärker geworden.“
„Sie haben ihn nicht besiegt, weil sie stärker gewesen wären als er. Terno hat sich geopfert, um mich zu retten.“
Remde blickte auf. Überraschung überzog sein Gesicht. „Hat er das wirklich?“
„Er hat mir einen Teil seiner Kraft gegeben, damit ich wieder in die wirkliche Welt zurückkehren kann.“
„Wenn das stimmt, dann könnte es sein, dass sie doch besiegbar sind.“
„Das sind sie. Warum sonst haben sie mich wohl nicht angegriffen, seit ich wieder in dieser Welt bin? Ich bin ein leichtes Ziel, so wie Du mich gefunden hast, könnten auch sie mich finden. Sie haben Angst vor mir. Sie wissen, dass ich sie in dieser Welt so sehr schwächen kann, dass sie nicht mehr in der jenseitigen Welt Stärke finden könnten.“
„Wie sicher bist Du Dir damit?“
„Sehr. Ich erkenne die beiden Welten besser, seit ich in beiden verankert bin. Ich habe durch den Kampf mit Rubin, Saphir und Korund meine Fähigkeiten besser verstanden und entwickelt. Sie können mir hier nicht mehr viel anhaben, denn da ich einen sterblichen Körper habe, bin ich hier stärker als sie, die einen Teil ihrer Kraft dafür aufwenden müssen, sich einen Körper zu erschaffen.“
„Aber wenn sie das wissen, wie willst Du sie dann besiegen? Sie würden sich nie wieder in Deine Reichweite begeben!“
Remde sah mich interessiert an, und ich musste zugeben: „Ich habe keine Ahnung, wie ich sie in diese Welt zwingen kann, und Du hast sicher recht, dass ich sie in ihrer Welt nicht besiegen kann.“
„Was also nun?“
„Ich habe einen Plan. Und dazu müssen sie nicht hier sein. Ich werde einfach die Spielregeln ändern. Ich weiß wie, ich weiß, was getan werden muss. Und ich muss nur noch wenig vorbereiten, damit ich meinen Plan umsetzen kann. In zwei Tagen bin ich bereit, die Existenz von Saphir, Rubin und Korund für immer zu beenden.“
„In zwei Tagen bereits?“ Remdes Augen verengten sich für einen Moment. „Was wirst Du tun?“
„Ich werde einen Zauber mit den anderen magisch begabten von Tharb wirken, der sie in diese Welt zwingt. Sie werden sich nicht wehren können.“
„Und dann willst Du sie besiegen?“
„Dann werde ich sie besiegen. Bist Du an meiner Seite?“ Ich hielt ihm meine Hand hin.
Doch er sagte: „Nein.“
Und er verschwand vor meinen Augen.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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