Schnellemachefix | ANDERSWOLF

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Schnellemachefix

Trophisches
Februar 25, 2011

Das erste Backerlebnis hatte ich mit meiner Sandkastenfreundin C. in der Küche ihrer Mutter. In meiner Erinnerung stehen wir – damals kaum groß genug, um auf die Arbeitsfläche schauen zu können, ohne auf einen Schemel zu steigen –  vor dem Backofen, in dem sich unsere pampige Mischung aus Mehl und Milch nicht wie durch ein Wunder in Baisers verwandelt.
Diese Wunder geschehen nicht. Der Glauben kann Berge versetzen, Überzeugungen können sich in Revolutionen oder Völkermorde verwandeln, nie aber kann die Hoffnung auf luftiges Backwerk sich allein durch den Wunsch darauf erfüllen. Eher wird die Menschheit sich in der Zerstörung der Welt zügeln, als dass Backwerk anderen Regeln als den eigenen gehorcht.

Als ich den Kuchen, mit dem ich meine Kindheit auch heute noch assoziiere, das erste Mal nachbacken wollte, war ich schon in der Pubertät. Ich hatte nicht das erste Mal gebacken und frühe Erfolge mit gelatinösen Sahnetorten, komplexem Brandteig und sogar dem mir damals als Meisterstück geltenden Hefeteig gaben mir die Sicherheit, dass nichts schiefgehen würde. Was konnte auch passieren: ich würde einen fluffigen Rührteig kurz backen und er würde sich aufblasen wie langsam gegangener Gugelhupf. Danach noch Zuckerguss und bunte Streusel drauf; fertig wäre der Kuchen meiner Kindheit, den meine Mutter und alle in meiner Familie als Schnellemachefixkuchen kannten, weil er keine halbe Stunde dauerte.
Was hätte schief gehen können? Ich bin mir nicht sicher, was ich alles falsch gemacht habe, vielleicht habe ich den Handrührer statt des Standmixers verwendet, zu wenig Backpulver, zu viel Mehl, vielleicht habe ich bei der Zubereitung getrödelt, vielleicht habe ich den Kuchen zu lange im Ofen gelassen. An diesem Nachmittag jedenfalls habe ich den größten Keks meines Lebens gebacken.

In den späteren Jahren habe ich mich noch ein paarmal an diesem Kuchen versucht, bis ich aufgegeben habe. Was, wenn meine Mutter ihn buk, wie ein weiches Kissen dazu einlud, das Gesicht hineinzudrücken (bevor der Zuckerguss auf dem Teig war), wurde bei mir hart und trocken oder weich und matschig, nie aber höher als eineinhalb Finger. Vielleicht, das habe ich mir später als Erklärung zurechtgelegt, durfte mir der Kuchen nie gelingen, um mir nicht selbst meine Kindheit zu nehmen.
Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Ich probiere mich nicht mehr am einfachsten Kuchen der Welt, sondern habe meinen eigenen Zuckerstreusel-auf-Zuckerguss-auf-Rührteig-Kuchen, der nur optisch dem Kuchen meiner Kindheit nahekommt, tatsächlich aber mehr ein Sandkuchen-Hybrid ist.

Für ein Kuchenblech:

250 g Butter vorsichtig schmelzen, ein Backblech fetten und mit Zucker bestreuen, den Backofen auf 200 C Ober-/Unterhitze vorheizen. 5 Eier mit 50 g im Mörser zerstoßenem alten Marzipan*, 100 g Zucker, 1 Messerspitze Vanille, abgeriebene Schale einer Zitrone und etwas Salz nicht nur ein bisschen, sondern richtig dolle schaumig rühren. Wenn man glaubt, es ist schaumig genug, noch mindestens eine Minute weiterrühren.
125 g Mehl mit 125 g Speisestärke und 1 TL Backpulver mischen und abwechselnd mit der flüssigen Butter, die mittlerweile auch wieder leicht abgekühlt sein dürfte, unter die Creme rühren. Die Mehlmischung dabei sieben, die Butter nicht.
Den Teig aufs Blech schmieren, dann sofort in den Ofen, die Temperatur auf 180 °C runterdrehen. In den 15 Minuten, die der Kuchen jetzt im Ofen ist, muss der Zuckerguss vorbereitet werden: 200 g Puderzucker mit 3-4 Esslöffeln Zitronensaft (gut, dass wir noch eine Zitrone übrig haben) schön geschmeidig rühren, lieber etwas zu flüssig. Außerdem die bunten Zuckerstreusel, kandierten Veilchen oder sonstigen Schnickschnack für obendrauf bereithalten.

Der Wecker klingelt. Stäbchenprobe am Kuchen, wenn noch was pappt (unwahrscheinlich), eine Minute zugeben, ansonsten raus mit dem Kuchen. Zuckerguss auftragen, immer nur ein Stückweit und dann sofort hinterherstreuseln. Ist der Zuckerguss erst mal hart, prallen die Streusel einfach ab und liegen doof in der Küche rum und wutscheln sich in die Socken. Das will keiner. Darum lieber zügig arbeiten. Muße gibts später, wenn der Kuchen abgekühlt ist.
Warnung: Niemals den Kuchen direkt vom Blech essen. Immer schön ein Stück abschneiden und auf einen Teller legen und die Küche verlassen. Oder die Wohnung.

C.s Mutter hat dann übrigens extra für uns noch Baiser gebacken. Seither weiß ich auch, wie das geht. Aber das ist eine andere Geschichte.

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* Ja, ich habe tatsächlich immer altes Marzipan zuhause.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
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