Schwarzer Merkur | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Schwarzer Merkur

Bewerbe
Mai 27, 2015

Der Wind, der über die Felder des Westens weht,
erzählt vom Ende des Sommers vor seiner Zeit.
Blitzschlag über dem Horizont spaltet das Dunkel des Sturms,
Donner schlägt Krähen in ziellose Flucht.
Mit Gewitterschritten naht der Herbst,
und Dir,
Schwarzer Merkur,
Weber des ersten Zaubers und Wächter des letzten Tors,
weihe erneut ich meine unsterbliche Seele.
Deinen Schutz und Segen erbitt ich
vor der Stille des Winters und der Leere seines weiten Azurs.

Führe mich,
Schwarzer Merkur,
Öffner der Wege und Hüter des verborgenen Lichts,
über das Eis, das die Meere versiegelt,
durch den gläsernen Berg und die Wüste aus blauem Sand.

Dreimal schon schlug ich die tonlose Glocke und opferte Dir,
Schwarzer Merkur,
Bote der Finsternis und Träger des blutigen Schleiers,
den Hahn, der den Morgen begrüßt,
das Vlies der goldenen Ziege,
den weißen Stier Deines Vaters.
Dreimal schon erhörtest Du mich,
schältest die Seele mir aus dem faulenden Fleisch,
doch tilgtest mir nicht die Erinnerung
an den geborstenen Tempel und die Maske in Scherben,
das Schwert, das die Liebenden blutig vereint,
die Schreie, die hallten über den rostroten Fluss.
Ich erinnere mich
an den stürzenden Turm und Könige unter den Sklaven,
Sterne auf dem Spiegel des windstillen Meers.
Wie die Träume der Traumlosen sehe ich vor meinen Augen
verlorene Koffer neben Gleisen vergessener Züge,
zerknitterte Laken, darauf Knoten in lindgrüner Schnur.
Ich sehe den Dämon mit Engelsflügeln,
den Heiland des Untergangs,
Flammen in seinen Worten und Knochen in jeder Hand,
Gift auf der Zunge und Verderben auf allem, was er berührt.

Der Wind weht Rauch über die Felder des Westens,
schmeckt nach Asche und Tod.
Ein viertes Mal also stehe ich vor Dir,
Schwarzer Merkur,
Pfeil, der den Schützen trifft, und Werwolf unter den Schäfern,
hebe den Kelch, der kein Wasser hält, und den zerbrochenen Stab.
bitte Dich, nimm ein anderes als mein Leben,
nimm das Kind mit den blicklosen Augen,
das Blut dieses ruhenden Engels,
den Atem der Unschuld von seinen Lippen.

Ich flehe Dich an,
Schwarzer Merkur,
Eremit auf dem Berg und schlafender Avatar,
fange den durch die Finsternis fallenden Stein,
heile den zerbrochenen Spiegel,
binde den Schatten, den niemand wirft,
halte den Geist, der durch Menschen geht,
führe mich durch das Dunkel des Winters,
schenke meiner Seele das wiederkehrende Licht.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
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