18 | Antejar, Baneh, Bamar | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

18 | Antejar, Baneh, Bamar

Yelda
November 15, 2010

Ich hätte mir die Namen der drei Männer nicht über all die Zeit behalten, hätte ich sie nicht wiedergetroffen. Antejar, der Schiffahrer, wie er sich gerne nannte, obwohl er nie mehr als ein Boot sein eigen nannte und erst wenige Jahre vor seinem Lebensende sein erstes echtes Schiff bestieg, war ein großer Mann in jeder Hinsicht. Jene, die Angst vor ihm hatten, wenn sie ihn das erste Mal sahen, brachte er zum Lachen, jene, die schwach waren, stützte er. Vor allem aber erkannte er jene, die beides brauchten. Antejar wusste um seine Gutherzigkeit und schalt sich oft dafür, doch ist er friedvoll gestorben, was nicht jeder Mann von sich sagen kann, den andere fürchten und doch lieben.

Baneh und Bamar wurden Antejars beste Freunde, so sehr Antejar jemandem Freund sein konnte. Bamar war einige Jahre jünger als Baneh, sein Geist aber hatte sich irgendwo in sich verloren. Später in unseren Leben konnte ich ihm ein Stück seiner Selbst wiedergeben, doch Baneh, der sich dies mehr als alles andere gewünscht hatte, konnte es nicht mehr sehen. Baneh hatte immer den Beschützer für Bamar gespielt, und am Ende das getan, was er immer getan hätte: sein Leben für ihn gegeben.

Ich lernte die Drei weit vor der Stadt Tharb kennen, denn ihr Boot kenterte wenig nachdem ich sie nicht mehr hatte hören und sehen können. Antejar verfluchte Bamar oft dafür, dass er ihn sein Boot gekostet hatte, doch war er es gewesen, der ihm nachgetaucht war, als er in den Fluten des Flusses unterzugehen drohte. Baneh wollte nicht sagen, was genau geschehen war, doch Antejar schimpfte so oft darüber, dass ich fast das Gefühl hatte, dabeigewesen zu sein, als Bamar aufstand, an Land starrte und aufgeregt etwas rief. Antejar, der ohnehin schon gereizt war, schrie Bamar an, dann Baneh, doch bevor einer der Drei noch hätte reagieren können, lief das Boot auf einen Felsen auf, kippte und drehte sich. Baneh konnte sich aus eigener Kraft aus dem Wasser ans Ufer ziehen, doch Bamar, der niemals schwimmen gelernt hatte, ging unter. Antejar entschied sich gegen sein forttreibendes Boot und für Bamar, er tauchte dem Jungen nach und schleppte ihn gegen die Strömung schwimmend an Land. Lange bevor Antejar in der Lage gewesen wäre, seinem Boot zu folgen, war es schon außer Sicht- und Reichweite.
So fand ich sie, Antejar fluchend, Bamar weinend, Baneh leise auf seinen Bruder einredend, alle drei durchnässt und mitgenommen im hohen Gras neben dem Fluss sitzend. Vielleicht aber war es auch umgekehrt, denn kaum, dass ich in Sichtweite war, drehte Bamar sein Gesicht in meine Richtung und sagte etwas. Hätte er mich nicht gesehen, ich wäre an ihnen vorbeigegangen, denn immer noch war ich mir nicht sicher, ob ich mich wieder anderen anvertrauen wollte oder nicht. Ich brachte, so dachte ich, nicht vielen Lebewesen Glück und die wenigen, die glaubten, dass es anders wäre, stieß ich von mir aus Angst, sie zu verletzen. So aber entdeckte mich Bamar, wie er mich auch später immer wieder fand, selbst wenn ich nicht gefunden werden wollte.
„Da!“ Er stieß seinen Bruder an, der ihn beim ersten Mal nicht verstanden hatte. Er stand auf, während sein Bruder noch versuchte ihn aufzuhalten, rief: „Da ist sie!“ und lief in meine Richtung. Dann sah mich auch Baneh und er ging ein paar Schritte auf mich zu, während ich noch überlegte, ob ich weglaufen sollte. Dann aber war Antejar schon mit wenigen langen Schritten herangekommen und hielt Bamar drei Schritte vor mir mit einer Hand fest.
„Laß mich“, sagte Bamar, aber er sagte es, als meine er es nicht. Gleichzeitig sah er mich mit einem Blick an, der mich an Bukon erinnerte, der mich für eine Tochter der Götter gehalten hatte, von denen ich bislang auch nicht viel mehr wusste als dass es sie wohl gab, aber sie niemand je gesehen hatte. „Laß mich los, lass mich los.“
Antejar ließ ihn nicht los, im Gegensatz zog er ihn einen Schritt fort. „Ich habe Dich einmal zu oft losgelassen, Junge. Das hat mich mein Boot gekostet. Glaub nicht, ich mach den gleichen Fehler mehrmals.“
Baneh war mittlerweile auch bei uns angekommen und griff nun auch nach Bamar.
„Tut ihm nichts“, sagte ich. „Er hat mir nichts getan.“
Doch Antejar lachte und erwiderte: „Dir vielleicht nicht, Schätzchen, einige von uns sind aber seinetwegen ziemlich nass und böse.“
„Mutter hat …“
„Und sie werden noch böser, wenn Du nicht die Klappe hältst, Junge.“
„Komm Bamar.“ Baneh zog seinen Bruder von uns weg. Was bei Antejar einfach ausgesehen hatte, schien Baneh fast zu überfordern, denn Bamar wehrte sich heftig, so dass Baneh sein ganzes Körpergewicht gegen seinen Bruder lehnen musste, um ihn ein paar Schritte zurückzudrängen. „Lass mich! Lass mich!“
„Was ist geschehen?“
„Nichts, was Dich interessieren muss. Wer bist Du? Bist Du allein?“
„Ich wurde Yelda genannt. Terno hat mich geführt, er ist aber fort.“
„Yelda also. Ich bin Schiffahrer Antejar. Momentan ohne Boot wegen Nichtsnutz und Holzkopf dahinten.“
„Wer ist Nichtsnutz und wer ist Holzkopf?“
Antejar brüllte vor Lachen. „Du gefällst mir, Schätzchen. Der Lange, der mehr zappelt als ein Fisch auf dem Trockenen, heißt Bamar, und der Dicke, der an ihm hängt wie eine Kugel, ist Baneh.“
„Lass mich!“
„Halt still!“
„Schnauze!“ brüllte Antejar die beiden an, die so überrascht von seiner Lautstärke waren, dass Baneh seinen Bruder losließ, der aber gleichzeitig aufgehört hatte, sich zu wehren und darum einfach zu Boden fiel. In normaler Lautstärke sagte Antejar zu mir: „Besser. Wenn nicht bald Ruhe gewesen wäre, hätte es ungemütlich werden können.“
Er zog sein Hemd über den Kopf und drückte es mit den Händen aus. Sein Oberkörper war mit mehr Narben übersät als es der von Remde gewesen wäre. Gleichzeitig ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass Remde auch nicht so kraftvoll ausgesehen hatte, denn dessen Körper war schlank und schnell gewesen wie ein schnellender Zweig. Antejars Körper allerdings verriet selbst bei kleinen Bewegungen eine Kraft, die die der Brüder bei weitem übertreffen würde.
„Wir sind gekentert“, sagte er mit einem Blick auf sein nasses Hemd. Zu den Brüdern gewandt sagte er: „Macht Euch mal nützlich und sucht Feuerholz, wir müssen trocknen, bevor wir uns auf den Weg machen können.“
Baneh zerrte an Bamar und zog ihn hinter sich her. Bamar, der mich immer noch anstarrte, sich aber nicht mehr gegen seinen Bruder wehrte, trottete hinter ihm in den Wald.
„Was machst Du hier, Yelda? Und was ist mit Deinem Freund passiert?“
„Wir folgten dem Fluss, wir haben uns gestritten, dann ist er verschwunden. Und nun folge ich dem Fluss alleine.“
„Einfach so verschwunden? Tja, Schätzchen, Männer sind so, wenn die See zu stürmisch wird, sucht man sich ruhigeres Wasser.“ Er grinste. „Nicht dass andere Wasser nicht auch gefährlich werden könnten.“
„Du meinst, er ist zurück an den See? Das ergäbe doch keinen Sinn.“
„Ich weiß ja nicht, von welchem See Du redest, aber einen Sinn ergibt wenig. Glaub mir, Schätzchen, ich bin nicht erst seit gestern Schiffahrer, und noch länger bin ich Mann. Trau keinem, vor allem nicht, wenn er Dir sagt, Du solltest es tun.“
„Aber Terno hat mich gerettet.“
„Sicher hat er das. Oder es behauptet. Der einzige Mensch, der Dich wirklich retten kannst, bist Du selbst, glaub mir das.“
„Du hast Bamar gerettet.“
„Nichts da. Mit dem Holzkopf wäre er einfach nur flussabwärts getrieben. Ich hab ihn nur rausgezogen, damit ich ihn anschreien kann.“
Ich glaubte ihm nicht, doch bevor ich etwas sagen konnte, kamen Baneh und Bamar wieder aus dem Wald. Sie stritten sich.
„Nicht schon wieder“, murmelte Antejar und ging ihnen entgegen. Ich folgte in einigem Abstand.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“ rief Antejar ihnen entgegen.
„Es gibt kein Holz.“
„Natürlich gibt es Holz, Bamar. Und Du weißt, dass wir ein Feuer brauchen, um uns aufzuwärmen.“
„Mir ist warm.“
„Junge, Dir ist vielleicht warm, wir anderen dagegen werden uns aber den Tod holen, wenn wir uns durchnässt auf den Weg laufen.“
„Außerdem ist Dir nicht warm, Bamar, Du zitterst ja.“
„Tu ich nicht. Außerdem ist sie endlich da.“
„Wer?“ fragte Antejar. „Sie? Das Schätzchen? Kennt Ihr Euch?“ Er sah mich an, aber ich sagte: „Ich kenne ihn nicht.“
„Natürlich kennst Du Bamar nicht. Er sagt, er hätte von Dir geträumt.“
„Geträumt? Du bist gut, Junge. So viel wie Du träumst, weißt Du doch gar nicht, ob Du wach bist oder nicht.“
„Jetzt bin ich wach. Und sie ist da. Wie in meinen Träumen.“
„In Deinen Träumen, was? Und was macht sie da? Singen?“
„Sie ist einfach nur da. Sie lauscht.“
„Lauscht, was? Jetzt lausch mir mal, Junge: Deinetwegen habe ich mein Boot verloren, ich hab die Schnauze voll von Deinen Träumereien. Mir ist kalt, ich habe Hunger und echt keine gute Laune.“
„Antejar, nicht. Du weißt, er ist nicht … “
„Halts Maul, Baneh. Hätte ich kein Versprechen gegeben, ich würde Euch einfach hier sitzen lassen. Da Schiffahrer Antejar aber ein Mann von Ehre ist, bringe ich Euch nach Tharb, und wenn es das letzte ist, was ich tue.“
„Könnt Ihr Euch nicht einfach von der Sonne trocknen lassen?“ warf ich ein, doch Antejar schnaubte. „Welche Sonne?“
Er hatte recht. Die Dämmerung war gekommen, doch Wolken hatten den Himmel dunkelgrau gefärbt, und es sah aus, als könnte es jederzeit anfangen zu regnen. „So gesehen auch nicht schlecht“, sagte Antejar. „Vergesst das Feuer. Wir werden ohnehin bald wieder nass.“ Sein Körper entspannte sich ein wenig.
„Wohin wolltest Du dem Fluss folgen, Yelda?“
„Dorthin, wo viele Menschen sind. Ich suche einen Zauberer.“
„Einen Zauberer, was? Ich bin nur von Irren umgeben.“ Er schnaubte. „Na aber egal, was Du in der Stadt wolltest. Du solltest mit uns kommen.“
„Wohin geht Ihr?“
„Nach Tharb.“
„Tharb?“
„Die näheste Stadt hier am Fluss. Eigentlich wollten wir in drei Tagen dort sein, ohne Boot werden wir aber länger brauchen, als gedacht. Wenn Du uns begleitest, muss ich aber wenigstens nicht immer nur mit Holzkopf und Nichtsnutz streiten.“
„Ich muss am Fluss bleiben.“
„Wir auch. Vielleicht haben wir Glück und mein Boot ist irgendwo angelandet. Vielleicht finden wir sogar unseren Proviant wieder.“
„Dann komme ich mit Euch, wenn ich darf.“
„Klar, Schätzchen. Der Träumer hier würde eh nie verkraften, wenn wir Dich nicht mitnähmen. Und Baneh tut, was Bamar ihm sagt.“
„Gar nicht wahr!“
„Ach, halts Maul.“

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
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