Trophisches | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Bio oder nicht bio?

Trophisches
September 27, 2012

Die neulich mit einer Talkrunde bei Günther Jauch vorzeitig beerdigte Diskussion um eine jüngst erschienene Studie über Bio-Lebensmittel ist noch nicht abschließend kommentiert. Darum hier eine verspätete Wortmeldung zu einem Thema, das eigentlich logisch, aber dennoch diskussionswürdig ist.

Was war los?
Zur Erinnerung: In der September-Ausgabe der Annals of Internal Medicine erschien ein Bericht, der 17 Humanstudien und 223 Lebensmitteluntersuchungen aus den Jahren von 1966 bis 2011 auf die Frage hin auswertete, ob denn Bio-Lebensmittel einen signifikanten Vorzug gegenüber konventionell angebauten hätten. Das Ergebnis überraschte einige, bestätigte andererseits viele Vorurteile: Bio-Lebensmittel sind nicht gesünder als konventionell angebaute*.
Die Überraschung ist allerdings nur scheinbar angebracht. Denn eine grundsätzlich ungesunde Lebensführung kann nicht durch den Verzehr von ein paar Bio-Äpfeln aufgewogen werden. Eine Umstellung der Lebensführung braucht Zeit, Zeit, die sich keine der untersuchten Humanstudien genommen hat: die am längsten durchgeführte Studie lief über zwei Jahre**.
Die Autoren des aktuellen Berichts bestreiten das nicht, im Gegenteil weisen sie darauf hin, dass die Datenlage dürftig ist. Die allgemeine Schlussfolgerung, bio sei nicht besser, basierte dennoch auf den Humanstudien, und auch ein Großteil der Diskussion wurde auf dieser Grundlage geführt. Wichtiger, aber weniger polarisierend (und daher weniger diskussionsgeeignet) ist der Nähr- und Fremdstoffgehalt von Lebensmitteln.

Was ist drin?
Konventionell und biologisch erzeugte Lebensmittel unterscheiden sich kaum hinsichtlich ihrer Nährstoffzusammensetzung. Die Erklärung dafür ist einfach: jedes Lebewesen (und dazu gehören auch Pflanzen) akkumuliert, wenn es sich natürlich ernährt, in einem art- oder sortenspezifischen Muster Nährstoffe. Wäre das nicht so, gäbe es keine Arten oder Sorten. Insofern überrascht nicht, dass eine Bio-Möhre gleich viel Wasser, Kohlenhydrate, Fett oder Eiweiß enthält wie eine konventionell angebaute. Interessanter wäre der Gehalt an nicht-nutritiven*** Pflanzeninhaltsstoffen wie z. B. Polyphenolen gewesen. Deutschsprachige Studien sind schon vor Längerem zu der Erkenntnis gekommen, dass Bio-Gemüse in der Regel einen höheren Gehalt Polyphenolen, Saponinen oder anderen sekundären Pflanzenstoffen aufweisen.
Da Funktionen und Wirkungen sekundärer Pflanzenstoffe immer noch nicht aufgeklärt sind, werden sie bei Diskussionen über Nährstoffe gerne ausgeklammert. So auch geschehen beim vorliegenden Bericht. Das ist aber verschmerzbar.

Denn wirklich relevant ist die unterschiedliche Belastung mit Rückständen und Kontaminanten. Der Verzicht auf Kunstdünger und die streng eingegrenzte Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sowie das Verbot von Antibiotika in der Tiermast führen bei Produkten aus dem Bio-Anbau zu einer deutlich niedrigeren Konzentration dieser Stoffe im Vergleich zu konventionellen Produkten. Den Autoren des Berichts zufolge habe die Zufuhr dieser unerwünschten Pflanzeninhaltsstoffe durch konventionell erzeugte Lebensmittel zwar erhöht, aber die gesetzlich festgelegten Grenzwerte nicht überstiegen. Also alles in Ordnung?
Tatsächlich gäbe es an diesem Ergebnis nichts auszusetzen, hätten Industrie und Regierung bei der Festlegung der Grenzwerte miteinrechnen können, wie sich eine jahrzehntelange Exposition mit Kontaminanten auf den menschlichen Organismus auswirkt. Bislang ist außerdem noch ungeklärt, inwiefern sich verschiedene Rückstände in ihrer Wirkung verstärken können, und welchen Einfluss diese Gesamtmengen auf das Entstehen von Zivilisationskrankheiten haben. Entsprechende Untersuchungen wären finanziell und organisatorisch zu aufwendig.
So tappt man also als Verbraucher im Dunkeln, welche Mengen an Pestiziden, Düngerrückständen und Antibiotika man wirklich aufnimmt. Sicher und von den Autoren des Berichts bestätigt ist nur: ernährt man sich mit Bioprodukten, sind diese Mengen geringer.

Was ist dran?
Wozu also die Aufregung? Warum fühlen sich Bio-Gegner dadurch in ihrer Meinung bestärkt, wieso fühlen sich Bio-Befürworter in eine argumentative Ecke gedrängt? Vielleicht, weil alle ahnen, dass es doch einen deutlichen, bisher noch nicht messbaren Unterschied gibt. Vielleicht auch, weil viele Menschen Bio-Produkte zwar konsumieren, aber nicht bezahlen wollen, und daher nach Gründen suchen, sie ablehnen zu dürfen. Vielleicht aber vor allem, weil alle, die sich in dieser Diskussion zu Wort melden, eine grundlegende Erkenntnis und eine einfache Antwort auf die Frage vermissen, wie man sich denn nun ernähren soll, um möglichst lange möglichst gesund zu bleiben.
Diese Antwort bleibt auch der vorliegende Bericht schuldig, auch wenn die Interpretation der meisten Medien das anders, fast gefährlich verfälscht nahelegt. Denn die eigentliche Quintessenz des Berichtes lautete nicht, eine weitere Erforschung des Themas könne man sich angesichts der mangelnden Wirksamkeit von Bio-Lebensmitteln sparen, sondern: man habe zu wenige Daten, um eine belastbare Aussage zum Einfluss von Bio-Lebensmitteln auf die Gesundheit zu treffen. Und das ist angesichts eines knappen Jahrhunderts an Erforschung dieses Themas der eigentliche Skandal.

________________________________________________

* Aus semantischen Gründen hätte man die Diskussion auch hier schon abwürgen können. Gesunde Lebensmittel gibt es im gleichen Maß, wie es kranke Lebensmittel gibt. Entsprechend gibt es nur dann gesunde Ernährung, wenn es auch kranke Ernährung gibt.

** Zum Vergleich: in der Alpha-Tocopherol Beta-Carotene Cancer Prevention Study (ATBC) trat erst nach fünf Jahren der schockierende Effekt auf, der zum Abbruch und einer großen (und sehr emotional geführten) Diskussion über Sinn und Gefahr einer Vitamin-Supplementierung führte. Es hatte sich gezeigt, dass Vitamin E und Provitamin A das Risiko für Arteriosklerose und Krebs bei Rauchern nicht nur nicht verhindern können, sondern sogar erhöhen.

*** Ist ein Pflanzeninhaltsstoff nicht nutritiv, trägt er nicht offensichtlich zur Bedarfsdeckung des Menschen bei. Das bedeutet nicht, dass diese Stoffe keine Wirkung auf den menschlichen Organismus haben, im Gegenteil sind viele Wirkungen schon so weit erforscht, dass es Industriezweige gibt, die sich auf die Vermarktung isolierter nicht-nutritiver Pflanzeninhaltsstoffe spezialisiert haben.

Abschiede

Trophisches
Oktober 31, 2011

Die letzten Wochen über war es still, der Herbst fällt wie ein Schatten über Deutschland, wo doch eben noch – so dachte ich – Sommer war. Die Wege teilt man sich mit Laubbergen und kunstbepelzten Rentnerinnen, die miteinander schwatzen, während die Herren dahinter sich an Strände denken, wo sie zwar den Bauch einziehen müssen, aber wenigstens das ewige Geplauder mit dem Meeresrauschen verschmilzt.

Der Herbst fordert Entscheidungen, Abschiede, Kürbissuppe. Trifft sich, denke ich, Kürbis mag ich, Suppe kann ich und Kürbiskernöl habe ich noch drei Liter. Tatsächlich aber sind die Damen vom Markt gegen mich, sie haben nicht den herrlich aromatischen Muskatkürbis, sondern nur den allgegenwärtigen, ganzjährig verfügbaren Hokkaido. Was soll ich auf den Markt gehen, frage ich die Damen, wenn Sie Sie nichts verkaufen, was ich nicht auch im Supermarkt bekommen kann?
Lieber Herr, sagen die Damen, auf den Markt geht man nicht der Lebensmittel, sondern der Leute wegen. Im Supermarkt bekommen sie unfreundliche Gesichter entgegengehalten und rüde das Wechselgeld zugeworfen. Auf dem Markt aber gibt es ein Lächeln und ein Hallo, da freuen sich alle des gegenseitigen Wiedererkennens und außerdem bringen wir ab November Glühwein mit, da dürfen Sie nippen, lieber Herr, aber wirklich nur Sie, weil wir Sie so lieb haben.

Wie könnte ich da anders als doch Hokkaido kaufen und Suppengemüse und Eier, die ich zwar nicht für die Suppe brauche, aber für die Salzburger Nockerl. Die Eier, versichert mir die Kürbisdame, seien glücklich freilaufend; und ich sehe lieber kurz in den Karton, um zu gucken, ob da nicht am Ende noch Füßchen aus den Eiern hängen. Glück gehabt, denke ich, als ich keine Füßchen sehe. Andererseits sollen ja frisch ausgekochte Hühnerfüße ein ausgezeichnetes Grippeprophylaktikum sein, und die kommt ja auch bald wiederdie Grippe, die ersten Hysteriker wollen sich schon impfen lassen. Schweren Herzens verzichte ich dann eben auf die Hühnerfüße, muss ich eben Obst und Gemüse und Salzburger Nockerl und Kürbissuppe essen. Wird sich leben lassen damit.

Zuhause mache ich, ich bin ja ein altmodischer Mensch, erst mal die Brühe. Oha, wird da einer sagen, was soll das denn, muss das sein, ist das nicht des Aufwands zu viel?
Natürlich schaue ich mich dann erst mal um, denn ich dachte, ich bin allein in der Küche, schaue in den Schrank und alle Schubladen, ob nicht doch einer da ist, der sich darüber mokiert, dass ich meine Brühe selber mache. Ist aber keiner da. Sage ich also dem Herd und dem Topf und dem Suppengemüse, dass es stimmt, Brühe kann man auch kaufen, Pferde und Autos ja auch, Heizdecken und Haartrockner, von irgendwas müssen ja auch andere Leute leben, kann ja nicht jeder so privilegiert sein wie ich und einfach nur fürs Tollsein bezahlt werden. Also gibt es Leute, die aus Gemüse, das sich nicht verkaufen lässt, Pulver machen, für das die Menschen gerne Geld geben, denn so einen Trick, Pulver aus Sachen machen, den kann jetzt auch nicht jeder. So funktioniert, sage ich der Möhre, Kapitalismus oder Marktwirtschaft oder Beutelschneiderei, ich weiß nicht genau, ich bin Ernährungs-, kein Wirtschaftsfuzzi. Und weil ich weiß, dass der Möhre noch eine Frage auf der Zunge liegt, schneide ich sie schnell klein. Das restliche Gemüse ist jetzt so verängstigt, dass es keine Lust mehr hat zu streiten.

Für die Brühe schneide ich Möhren, Sellerie, Lauch, Zwiebeln in grobe Würfel, werfe sie in einen Topf mit einer Knoblauchzehe, zwei geviertelten Tomaten, zwei Lorbeerblättern und einem Schwupp Wacholderbeeren. Ich zähle die nicht. Wozu auch.
Mit Wasser bedecken, erhitzen, eine Stunde offen köcheln lassen, dann durch ein Sieb passieren und ausdrücken (oder durch die Gemüsemühle drehen). Fertig. Hat doch gar nicht wehgetan.

Für die Suppe habe ich derweil schon mal eine Zwiebel gehackt und den Kürbis entkernt und gewürfelt, was ja beim Hokkaido recht einfach ist, weil man sich das Schälen schenken kann. Dafür schmeckt er halt auch nicht so fein.
Das Gewürfel schwitze ich in Butter an, dann gebe ich einen Liter Brühe zu und lasse wieder köcheln, diesmal so ungefähr 20 Minuten, bis die Kürbiswürfel ihre Form verlieren und/oder leicht zerdrückbar sind. Dann pürieren. Die Könner machen das ohne Spritzschutz, und auch ich mache das – obwohl ich kein Könner bin – ohne Spritzschutz. Entsprechend sehe ich danach aus und muss mich kurz umziehen, bevor ich Sahne anschlage, Kürbiskerne röste, das Kürbiskernöl aus dem Schrank hole, die Suppe in Teller gebe, einen Sahnehaufen draufgebe und diesen mit Kürbiskernen und Öl dekoriere. Und weil ich kein Foodstylist bin, zerläuft die Sahne dann schon, während ich noch ein paar Fotos mache. Später stelle ich fest, dass alle unscharf sind bis auf eines, und das ist schief.
Egal, denke ich mir, denn das wichtige ist ja, dass man es warm hat im Bauch. Und da ist es dann auch egal, dass man den dann nicht einziehen kann, weil man den Herbst dann ja doch gar nicht mehr so schlimm findet.

PS. Falls Sie sich im Übrigen fragen, was das mit den Abschieden soll: ich frage mich das auch schon eine geraume Weile. Haben Sie eine Antwort?

PPS. Und falls Sie sich darüber hinaus noch fragen, wieso denn jetzt keine Nockerl kommen, dann sage ich: das nennt sich Cliffhanger.

Der Keim allen Übels

Trophisches
Juni 8, 2011

Viele betrachten ja den aktuellen Lebensmittelskandal als willkommene Entschuldigung dafür, jetzt endlich keinen Salat mehr zu essen. Wurde auch Zeit, wo die bisherigen Skandale – BSE, Antibiotika-, Gammel- und Klebefleisch, Analogkäse und Dioxineier – den Verzehr von Gemüse als einzig sichere Ernährung erscheinen ließen. Und dann auch noch diese unerträglichen Bücher wie Anständig essen und Tiere essen, die einem das Schnitzel auf dem Teller und überhaupt jedes tierische Produkt schlecht reden. Endlich hat man ein handfestes Argument gegen diese Veganokratur.

Andere wie Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel freuen sich dagegen darüber, dass endlich der Biokratur die vermeintliche Unschuld genommen wurde:

Es ist makabere Ironie, dass ausgerechnet die böse Chemie in Form von Antibiotika und anderen Arzneimitteln und die Gentechnik in Gestalt biotechnisch hergestellter Medikamente nun die Menschen rettet, die möglicherweise „Bio“ in Gefahr gebracht hat – falls sich die Indizien bestätigen.
[…]
Bio-Lebensmittel sind nicht nachweislich gesünder als herkömmlich erzeugte und manchmal sogar gefährlicher. Ein Grund ist der Verzicht auf Kunstdünger. Zur Düngung eingesetzte Gülle, Mist und Kompost können Krankheitserreger enthalten. Auch der Hang zu rohen, naturnahen und unbehandelten Lebensmitteln hat seine Tücken. Eine häufige Quelle von Ehec-Ausbrüchen ist nicht erhitzte Rohmilch. Und immer wieder fallen Bioprodukte durch Keimverunreinigungen auf, wie aus einer Auswertung der Stiftung Warentest aus dem Jahr 2007 hervorgeht.

Recht hat er. Wurde Zeit, dass auch die verblendetsten Umweltschützer und Grünwähler mal sehen, dass unsere Ernährungsprobleme nicht im sterilen Labor beginnen, sondern auf dem unhygienischen Feld.

Aber mal im Ernst: was ist denn eigentlich passiert?

Irgendwie gelangen Darmkeime in die Nahrungskette. Nicht auf die Probiotika-Weise, wo man sich Myriaden von lebenden Darmbakterien freiwillig in den Mund schüttet. Sondern auf einem unsichtbaren, intransparenten Weg.
Die Folgen: erstens natürlich die Infektion, der Durchfall, schlimmstenfalls Organversagen und Tod. Zweitens aber, und das ist viel dramatischer, eine vollständige Verunsicherung eines übergroßen Teils der Bevölkerung. Selbst im Biomarkt und bei den direktvermarktenden Bauern auf dem Markt brechen Gemüseumsätze ein aufgrund einer irrationalen Angst vor Killergurken, Todestomaten und Suizidsalat. Vollkommen unreflektiert machen Verbraucher neuerdings einen großen Bogen um alles, was auch nur ansatzweise roh aussieht, Dosenobst und Konservengemüse verkaufen sich dagegen plötzlich überraschend gut.

Als Dienstleister im Lebensmitteleinzelhandel hat man momentan nur noch eine Aufgabe: Unbedenklichkeitsbezeugungen für die eigenen Produkte geben. Die Gurken, ja, die kommen aus der Region, ja, die esse auch ich, den Salat, ja, den sollte man schon waschen, wahrscheinlich ist noch Sand drin, das knirscht sonst. Die Tomaten, naja, spanische halt, mit denen gibt es kein anderes Problem als früher, aber ja, die kann man schon essen, wenn man muss. Schmecken halt immer noch nach nix. Auf meine doch wohl sicherlich vorhandene Angst vor EHEC angesprochen sage ich gerne: Ich habe mir zwar nicht anlässlich, aber zeitgleich der ersten Erkrankungsfälle das erste Mal in meinem Leben Rohmilch gekauft, das Lebensmittel, das wie kein anderes sonst vor 2011 als Quelle für EHEC-Infektionen galt. Und ja, sie hat gut geschmeckt. Sollten Sie auch mal probieren, wenn Ihre Paranoia nachlässt.

Denn das ist ja die eigentliche Krankheit, die derzeit ihren größten Ausbruch in der dokumentierten Geschichte der Industriegesellschaft feiert: das Misstrauen der Menschen in ihre Lebensmittel. Wir, die vermeintlich mündigen Verbraucher, sind so schnell und leicht so umfassend verunsichert, weil wir die Verbindung zu unserer Nahrung verloren haben: Wir glauben, die Milch kommt aus der Flasche, das Fleisch aus dem Supermarkt. Dass Joghurtbecher nicht auf Bäumen wachsen und Bananen noch nicht mal in unseren Breiten, haben wir in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt wunderbar ausblenden können. Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, ein Schwein zu schlachten, eine Kuh zu melken. Wir wissen teilweise nicht, wie man die giftigen von den ungiftigen Beeren unterscheidet, wenn sie nicht im Supermarkt ausliegen, es gibt Menschen in Deutschland, die nicht wissen, wie es ist, einen noch nicht ganz reifen Apfel zu pflücken und seine Zähne ins noch saure Fruchtfleisch zu graben, den Saft das Kinn herunterlaufen zu spüren, und es gibt Menschen, die noch nicht einmal wissen, dass es Quitten gibt. Arm sind sie dran, vor allem jetzt, wo sie von dem Skandal nur behalten werden, dass alles Rohe töten kann.

Wie bekommen wir die Kirche zurück ins Dorf?

Die erste und wichtigste Aufgabe von Politik und Behörden ist es natürlich, den Erreger und seine Quelle aufzuspüren und auszuschalten. Daneben wird es aber für die Zukunft wichtiger sein, dem Verbraucher, der Gesellschaft wieder das Vertrauen zu geben, dass die von uns verzehrten Lebensmittel sicher, sauber und gesunderhaltend sind. Dazu gehört nicht, die Lebensmittelproduktion noch mehr abzuschirmen und gänzlich in die Labore und Fabriken zu verlagern, sondern im Gegenteil Transparenz durch Öffnung auf Produzenten- wie auf Konsumentenseite. Die im 20. Jahrhundert forcierte Entfremdung zwischen Lebensmittel und Konsument muss umgekehrt werden: denn nur was wir nicht kennen, ängstigt uns; stellen wir uns unserer Angst vor der Natur, können wir sie vielleicht nicht beherrschen, aber doch verstehen (beide, die Angst wie die Natur).

Die erste und wichtigste Aufgabe des Verbrauchers ist es daher, Unwissenheit und Angst zu überwinden und damit seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entkommen. Der aufgeklärte Verbraucher weiß, dass die Qualität eines Lebensmittels wichtiger als sein Preis ist. Der aufgeklärte Verbraucher weiß, dass international arbeitende Lebensmittelkonzerne gewinn- und nicht kundenorientiert arbeiten. Der aufgeklärte Verbraucher weiß, dass die Entscheidung für „regional und saisonal“ wichtiger ist als die zwischen bio und nicht-bio. Der aufgeklärte Verbraucher aber weiß vor allem, dass die Verantwortung für seine Gesundheit nicht in den Händen irgendwelcher Konzerne, Politiker, Behörden oder Landwirte liegt, sondern in seinen eigenen und dass es seine Aufgabe ist, für sich selbst die beste Wahl zu treffen. Und nicht einfach nur die einfachste.

PS. Und die Sprossen? Sind vielleicht, vielleicht auch nicht die Quelle der Infektionen. Das wird sich wahrscheinlich nie mit Sicherheit und abschließend sagen lassen können.

Gesundheit Alaaf!

Trophisches
März 7, 2011

Heute übrigens ist nicht nur Rosenmontag, sondern – und das wird in der Flut aus Kamelle und Strüßche sicherlich untergehen – auch der Tag der gesunden Ernährung. „Weiß ich doch“, schreit es da hinten aus der Umkleidekabine. „Hab aber keine Zeit dafür, ich muss doch auf den Wagen!“

Ist für gesunde Ernährung eigentlich jemals Zeit? Und was eigentlich ist gesunde Ernährung? Was aus Frauenzeitschriften als Erdbeerdiät, Wohlfühlfigur oder Anti-Aging-Kur quillt? Was sich in Fitnesszeitschriften „Food-Guide zum Waschbrettbauch“ schimpft? Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung mit „5 am Tag“ und der alle paar Jahre umgestalteten Ernährungspyramide propagiert?

Die gesunde und die durchschnittliche Ernährung

Gesundheit sei, sagt die Weltgesundheitsorganisation, „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen„. Was das mit Ernährung zu tun hat? Viel, denn mit nichts neben Sport steuern wir unsere Gesundheit mehr. Was also steht da? „Körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen.“ Das muss ja wohl mehr sein als einfach nur Bio und Fünf am Tag und weniger Fleisch als Gemüse.

Man guckt da hinten in die Umkleidekabine und erwischt jemanden, der nicht nur unfertig geschminkt und halb angezogen ist, sondern sich durchschnittlich ernährt: Mischkost mit hohem Anteil einfacher Zucker, tierischer Fette und Eiweiße, die Lebensmittel konsequent aus konventionellem Anbau und preisorientiert ausgewählt, hoher Anteil von Convenience-Produkten. Man erwischt in der Umkleidekabine jemanden, der einen Schokoriegel im Mund hat und sich dafür schämt, weil ihm beigebracht wurde, dass Schokoriegel böse sind. Weil keinen Schokoriegel zu haben, aber auch keinen Spaß macht, hat er in der Umkleidekabine den Schokoriegel im Mund, den er außerhalb als ungesundes Teufelszeug verdammt.

Die richtige, aber komplexe Antwort

„Was ist denn dann gesund?“ Ernährungswissenschaftler hören keine Frage öfter. Nie aber geben haben sie die richtige Antwort, denn „Du darfst alles essen, nach dessen Verzehr Du Dich körperlich, geistig und sozial wohlfühlst.“ will ja auch keiner hören. Das ist keine Antwort, die man wie Kamelle und Schokoriegelbröckchen einfach schlucken kann.

Es ist eine Antwort, die man verdauen muss. Die die Fähigkeit zur Selbstanalyse voraussetzt, eine im globalisierten Kapitalismus unterentwickelte Fähigkeit. Denn ehrliche Selbstanalyse führt zur Selbsteinordnung in ein größeres Ganzes, das nicht Kapitalismus, sondern Umwelt ist, in der man als omnivorer Konsument wahllos so ziemlich alles in sich reinstopft. Und seine Umwelt damit mehr formt als sie ihn.

Die Schokoriegel-Erkenntnis

Was also lernen am Tag der gesunden Ernährung? Dass man ein böser Mensch ist, der die abgegraste Umwelt mit buntem Zeug füllt, das er am Rosenmontag noch Kamelle und Strüßche nennt, nach Aschermittwoch aber als Müll entsorgt? Dass Frauen- und Fitnesszeitschriften keine Ahnung haben, und die, die Ahnung haben, sich lieber ausschweigen, weil alles viel zu komplex ist? Weder noch.

Man soll begreifen, welche Macht man hat als Konsument, der die Welt durch die einzige Kraft formt, die nach dem Niedergang aller politischen Konstrukte noch übrig bleibt: Geld. Und dass man auch Schokoriegel kaufen darf und auch soll, wenn es Schokoriegel sind, die ohne Emulgatoren hergestellt sind, die überwiegend aus Soja gewonnen werden, für dessen Anbau mittlerweile Regenwälder gerodet werden, weil die bisherigen Anbauflächen nicht reichen, um den Bedarf zu decken.

Man muss am Tag der gesunden Ernährung nicht Schokriegel durch Äpfel ersetzen. Schon gar nicht sollte man Kamelle durch Äpfel ersetzen. Man kann aber damit anfangen, die Herkunft, die Verarbeitungsstufe und die Zutatenliste seiner Einkäufe zu lesen und zu hinterfragen. Und sich dann dafür entscheiden zu erkennen, dass der Wert, den man der eigenen Ernährung beimisst, dem entspricht, den man seiner Umwelt gibt. Dafür sollte Zeit sein. Nicht nur am Tag der gesunden Ernährung.
Aber eben auch am Rosenmontag.

Schnellemachefix

Trophisches
Februar 25, 2011

Das erste Backerlebnis hatte ich mit meiner Sandkastenfreundin C. in der Küche ihrer Mutter. In meiner Erinnerung stehen wir – damals kaum groß genug, um auf die Arbeitsfläche schauen zu können, ohne auf einen Schemel zu steigen –  vor dem Backofen, in dem sich unsere pampige Mischung aus Mehl und Milch nicht wie durch ein Wunder in Baisers verwandelt.
Diese Wunder geschehen nicht. Der Glauben kann Berge versetzen, Überzeugungen können sich in Revolutionen oder Völkermorde verwandeln, nie aber kann die Hoffnung auf luftiges Backwerk sich allein durch den Wunsch darauf erfüllen. Eher wird die Menschheit sich in der Zerstörung der Welt zügeln, als dass Backwerk anderen Regeln als den eigenen gehorcht.

Als ich den Kuchen, mit dem ich meine Kindheit auch heute noch assoziiere, das erste Mal nachbacken wollte, war ich schon in der Pubertät. Ich hatte nicht das erste Mal gebacken und frühe Erfolge mit gelatinösen Sahnetorten, komplexem Brandteig und sogar dem mir damals als Meisterstück geltenden Hefeteig gaben mir die Sicherheit, dass nichts schiefgehen würde. Was konnte auch passieren: ich würde einen fluffigen Rührteig kurz backen und er würde sich aufblasen wie langsam gegangener Gugelhupf. Danach noch Zuckerguss und bunte Streusel drauf; fertig wäre der Kuchen meiner Kindheit, den meine Mutter und alle in meiner Familie als Schnellemachefixkuchen kannten, weil er keine halbe Stunde dauerte.
Was hätte schief gehen können? Ich bin mir nicht sicher, was ich alles falsch gemacht habe, vielleicht habe ich den Handrührer statt des Standmixers verwendet, zu wenig Backpulver, zu viel Mehl, vielleicht habe ich bei der Zubereitung getrödelt, vielleicht habe ich den Kuchen zu lange im Ofen gelassen. An diesem Nachmittag jedenfalls habe ich den größten Keks meines Lebens gebacken.

In den späteren Jahren habe ich mich noch ein paarmal an diesem Kuchen versucht, bis ich aufgegeben habe. Was, wenn meine Mutter ihn buk, wie ein weiches Kissen dazu einlud, das Gesicht hineinzudrücken (bevor der Zuckerguss auf dem Teig war), wurde bei mir hart und trocken oder weich und matschig, nie aber höher als eineinhalb Finger. Vielleicht, das habe ich mir später als Erklärung zurechtgelegt, durfte mir der Kuchen nie gelingen, um mir nicht selbst meine Kindheit zu nehmen.
Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Ich probiere mich nicht mehr am einfachsten Kuchen der Welt, sondern habe meinen eigenen Zuckerstreusel-auf-Zuckerguss-auf-Rührteig-Kuchen, der nur optisch dem Kuchen meiner Kindheit nahekommt, tatsächlich aber mehr ein Sandkuchen-Hybrid ist.

Für ein Kuchenblech:

250 g Butter vorsichtig schmelzen, ein Backblech fetten und mit Zucker bestreuen, den Backofen auf 200 C Ober-/Unterhitze vorheizen. 5 Eier mit 50 g im Mörser zerstoßenem alten Marzipan*, 100 g Zucker, 1 Messerspitze Vanille, abgeriebene Schale einer Zitrone und etwas Salz nicht nur ein bisschen, sondern richtig dolle schaumig rühren. Wenn man glaubt, es ist schaumig genug, noch mindestens eine Minute weiterrühren.
125 g Mehl mit 125 g Speisestärke und 1 TL Backpulver mischen und abwechselnd mit der flüssigen Butter, die mittlerweile auch wieder leicht abgekühlt sein dürfte, unter die Creme rühren. Die Mehlmischung dabei sieben, die Butter nicht.
Den Teig aufs Blech schmieren, dann sofort in den Ofen, die Temperatur auf 180 °C runterdrehen. In den 15 Minuten, die der Kuchen jetzt im Ofen ist, muss der Zuckerguss vorbereitet werden: 200 g Puderzucker mit 3-4 Esslöffeln Zitronensaft (gut, dass wir noch eine Zitrone übrig haben) schön geschmeidig rühren, lieber etwas zu flüssig. Außerdem die bunten Zuckerstreusel, kandierten Veilchen oder sonstigen Schnickschnack für obendrauf bereithalten.

Der Wecker klingelt. Stäbchenprobe am Kuchen, wenn noch was pappt (unwahrscheinlich), eine Minute zugeben, ansonsten raus mit dem Kuchen. Zuckerguss auftragen, immer nur ein Stückweit und dann sofort hinterherstreuseln. Ist der Zuckerguss erst mal hart, prallen die Streusel einfach ab und liegen doof in der Küche rum und wutscheln sich in die Socken. Das will keiner. Darum lieber zügig arbeiten. Muße gibts später, wenn der Kuchen abgekühlt ist.
Warnung: Niemals den Kuchen direkt vom Blech essen. Immer schön ein Stück abschneiden und auf einen Teller legen und die Küche verlassen. Oder die Wohnung.

C.s Mutter hat dann übrigens extra für uns noch Baiser gebacken. Seither weiß ich auch, wie das geht. Aber das ist eine andere Geschichte.

__________

* Ja, ich habe tatsächlich immer altes Marzipan zuhause.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
Impressum

Und nein,
ich will Eure Cookies nicht.
Datenschutzerklärung

Anderswann