Von der Front | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Einleben

Von der Front
November 20, 2023

Herbst schon wieder, und meine Gedanken wie vom Winde verweht: überall, nur nicht hier. Ich versuche noch, meine Gefühle für die alte Heimat festzuhalten; gleichzeitig frage ich mich, ohne eine Antwort in mir zu finden: wie werde ich mich fühlen, wenn ich hier angekommen sein werde?

Wobei: angekommen bin ich ja. Die Möbel stehen, die Schränke sind eingeräumt, die gröbste Unordnung ist beseitigt, nur wenige Dinge suchen noch ihren Platz. Und auch verabschiedet bin ich irgendwie: die alte Wohnung ist gewienert übergeben, nur in der Garage stehen noch ein paar Sachen für den Wertstoffhof; und die Menschen dort habe ich so oft zum letzten Mal umarmt, dass sie sich schon gewundert haben, ob das mit dem Umzug nur ein Hoax war. 

Warum also fühle ich mich hier noch nicht eingelebt? 

Das fragen die Leute nämlich dauernd jetzt: Habt Ihr Euch schon eingelebt? Auf Instagram, über WhatsApp, in Telefonaten, selbst bei Gesprächen mit den fast noch unbekannten Nachbarn, die aber den spektakulär rasanten Einzug bezeugen können: Seids scho eigleebd?

Was das wohl heiße, frage ich den Göttergatten, sich einleben. Wann ist man so eingelebt, dass man nicht mehr nur ankommt? Und ist das ein anderer Punkt bei ihm als bei mir, weil ich die Stadt, die Leute, die Geschäfte und irgendwie alles schon kenne? Gibt es ein Punktesystem, eine Skala von Da bis Hier, an die man das Herz anschließen kann, so dass objektiv gemessen werden kann, ab wann nostalgisches Vermissen nur noch Fernweh genannt werden wird?

Der Göttergatte zuckt nur mit den Schultern und sagt: "Vielleicht ist man eingelebt, wenn man sich nicht mehr verläuft in der Nachbarschaft." 
"Vielleicht", sage ich, "wenn man blind in die seit dem Umzug siebenmal umgeräumte Besteckschublade greift und sofort das richtige Kneipchen erwischt." 
"Kneipchen", sagt der Göttergatte.
"Kneipchen", sage ich und: "Oh je."

Vielleicht muss man sich die alte Heimat auch erst ordentlich ausleben, bevor man die neue Heimat drüberleben kann. Vielleicht muss man dem Gehirn Worte wie Kneipchen und Kolter auswaschen, bevor sich das hiesige Vokabular einnisten kann. Wie viel Schäuferla und Schdaddwoschd muss i neischbachdln, um Äppler und Ahle Worscht hinter mir zu lassen?

Ist ja auch keine Sehnsucht in mir nach der kleinen Stadt. Ich will nicht zurück in die alte Wohnung, die zwar hübsch, aber ohne uns zuletzt nicht nur leer, sondern ganz traurig aussah (und überraschend renovierungsbedürftig an manchen Stellen). Ich will vielleicht zurück zu den Menschen dort, aber nicht in die kleine Stadt, in deren Straßen und Gässchen ich mich so arg hineingelebt hatte, dass mir schon ganz phlegmatisch war. 

Nicht dass mir das Aufraffen hier leichter fiele, aber hier springt einen die Arbeit überall an. Der Dachboden, wo Übriges provisorisch verstaut wurde, wartet auf Ordnung, der Garten legt mir auch schon den rotgoldenen Laubteppich aus. Eine Arbeitsstelle will gefunden und Text für ein neues Theaterprojekt will gelernt werden. Ich will und muss noch einige Kontakte knüpfen, zwei Vereine will ich mir noch anschauen; und vom nahenden Weihnachten und Silvester will ich gar nicht anfangen. Wir wissen nicht mal, wo der überdimensionierte Ficus stehen soll, wohin mit einem Weihnachtsbaum?

Und trotzdem will ich lieber zurückblicken, will irgendwie den Jahren in der baldigen Fremde einen würdigen Abschluss geben, eine herzwärmende Geschichte erzählen, während gleichzeitig die Natur selbst mit Flugblättern um sich wirft, auf denen ein sehr deutliches Memento Mori zu lesen ist. Gedenke deiner Sterblichkeit und vergeude nicht deine Zeit damit, etwas festzuhalten, was dir ja doch durch die Finger rinnt. Asche zu Asche, Laub zu Laub. 

Überhaupt, welch Luxus, dass ich mich nicht nur bequem in einer frisch renovierten Wohnung einleben darf, sondern auch ganz gemütlich aus der alten Heimat ausleben konnte. Abschiede noch und nöcher, immer wieder versichernd: Wir sind noch da, wir sind noch nicht fort, wir bleiben noch ein Weilchen. Trauert nicht um unseren Fortgang, denn wir gehen ja noch nicht. 

Wie viele Menschen haben diesen Luxus nicht? Wie viele brechen nicht ein ganzes Jahr lang ihre Zelte ab, sondern haben nur Wochen, vielleicht nur Tage, gar Stunden, bevor ihr altes Leben implodiert und nichts davon mehr für sie erreichbar ist? Werden auch sie gefragt in einer Heimat, die sie sich nicht vor Jahren und Jahrzehnten schon ausgesucht haben, ob sie sich denn jetzt schon eingelebt hätten? Ob sie ihre alte Leben denn schon endlich losgelassen hätten und die Hoffnung, dass jemals wieder irgendwas so werden könne, wie es einmal war? Sie sind wie Laub von den Zweigen ihres Lebens gerissen worden und liegen nun willkürlich in die Welt geworfen, teils Spielball der Winde, teils der Gravitation, und haben keine Wahl, keinen Einfluss.

Vom neuen Balkon aus schaue ich in den Himmel und sehe den wild fortgepusteten Blättern nach. Manche zieht eine Böe bis weit über die benachbarten Dächer in die nächste Straße oder sogar noch eine Kreuzung weiter. Die Blätter sind hilflos, taumeln durch die Lüfte so arg, dass ich, so bewegt mich mein Abschied doch hat, froh bin, dass mir dieses Trudeln erspart geblieben ist. Dass ich mir den Ort, an dem ich fortan leben wolle, selbst habe aussuchen können. 

Ob wir uns nun also schon eingelebt hätten, fragt K per E-Mail. Sie habe über Umwege erfahren, dass ich zurück in die Heimat gezogen wäre und dass sie das ja schon immer gewusst habe. Seine Wurzeln vergesse man ja dann doch nicht. 

Ich gebe auf und schreibe zurück: Wir suchen noch ein bisschen nach unserem Platz, aber im Großen und Ganzen, ja doch, leben wir uns ein.

Komfortunkonform

Von der Front
Oktober 13, 2023

Mal was Neues ausprobiert: ein Casting für die Teilnahme an einer Inszenierung. Ungewohnt, wenn man üblicherweise bei Stückwerdung mitgedacht wird. Andererseits ist das ja auch ein erwünschter Nebeneffekt des Umzugs: das Verlassen der Komfortzone, das Dazulernen, das Wachstum. Ein neuer Mensch werden. Oder zumindest weniger bequem. 

Neulich habe ich einen Text mit dem Titel "Froschsuppe" angefangen, der einerseits beschreiben sollte, wie überraschend widerstandslos das Patriarchat im alten Damals hingenommen wurde, und andererseits, wie ich mich irgendwann im letzten Jahrzehnt aufgegeben habe; aber schon bei der grundsätzlichen Frage nach Froschsuppe hat es den Text zerlegt.

Stellt sich nämlich raus (ja, jemand - nicht ich - hat das in Versuchen nachgewiesen): Selbst Frösche sind nicht so bequem, einfach stillzuhalten, wenn man das Wasser zu sehr erhitzt. Nur wir Menschen lassen uns so sehr einlullen, dass wir aus einer für uns schädlichen Situation nicht rechtzeitig fliehen. Wir warten bis zur allerletzten Sekunde. Oder länger.

Vielleicht, weil wir uns anmaßen, intelligenter als Frösche zu sein und uns darum eine größere Problemlösekompetenz zusprechen. Vielleicht auch, weil wir uns für märtyrerhaft leidensfähiger als Frösche halten. Wir sind keine Weicheier und erst recht keine Warmduscher, wir bleiben auf unserem verlorenen Posten, bis die Polkappen schmelzen.

Ist ja bald soweit. 

Jedenfalls: Casting. Wie Vorstellungsgespräch, nur bewegter und mit Rumschreien. Auch ungewohnt; ist ja so gar nicht meins, das Rumschreien. Meine Rollen waren ja eher immer kontemplativ, vergeistigt, über den Dingen stehend, manchmal sogar schwebend. Und dabei hyperintellektuell vom Rand aus kommentierend. Quasi mich selbst spielend. 

Beim Casting stand ich da als unbeschriebenes Blatt. Die Menschen, die ich beeindrucken wollte, hatten mich noch nicht spielen sehen. Oder vielleicht doch, weil ich ja selten nicht spiele. Ich will ja, dass Menschen mich mögen, darum neige ich dazu, jemand zu sein, der ich nicht bin. Wie wird das wirken auf Menschen, die mich kennenlernen wollen?

Stellt sich raus, sie wollen mich vor allem fordern. Meine Szene, die ich erbost und unverkopft interpretiert habe (also sehr nicht-wie-ich), soll ich nochmal spielen und nochmal, introviertierter, extrovertierter. Ich ahne rückblickend, dass es darum ging, meine Reichweite auszuloten, und ich spüre währenddessen, wie unangenehm, ja unbequem mir das ist. 

Sie wollen mich in Rage sehen, als wäre ich tödlich beleidigt worden; statt aber auf mein lahmes Kindheitstrauma zurückzugreifen, gerate ich in die Panik des Schultheaters von vor über 25 Jahren, als ich vor lauter Kontrollaufgabe auf der Bühne beinahe jemanden körperlich verletzt hätte, wenn ich mich nicht in letzter Sekunde wieder gefangen hätte. 

"Du hältst dich zurück", bekomme ich als Feedback, obwohl ich mich so sehr provozieren und laut werden lassen habe, wie ich es aus meiner mühsam antrainierten Egalität gegenüber allem Echauffierenden heraus zulassen kann. "Du hältst dich zurück". Und ich antworte, wie es nun mal der Wahrheit entspricht: "Natürlich."

Klar halte ich mich zurück, denke ich spontan, irgendwer muss es ja tun.

Seltsamer Gedanke, denke ich später ausführlicher. Wieso muss gerade ich zurückgehalten werden? Die Welt ist voll mit Leuten, die sich nicht zurückhalten, die ihren Schmerz, ihren Hass, ihren Missmut, ihre Menschenfeindlichkeit, ihre generelle Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation in die Welt hinauskotzen.

Gerade eben wurde die AfD in zwei weiteren Bundesländern in den Status der größten Oppositionspartei gewählt. Eine Partei, die offen rechtsradikal ist, gegen Minderheiten aus dem gesamten verfügbaren Spektrum hetzt, die zu Gewalt gegenüber Menschen mit anderer Meinung aufruft; und ausgerechnet ich muss mich zurückhalten? 

Ebenso gerade eben hat die Hamas Israel überfallen; und bei aller möglichen Kritik an den Entwicklungen in der Palästina-Frage ist Terror die falscheste aller Antworten. Befeuert von religiösem Fanatismus und aus Angst vor Machtverlust nimmt die Hamas den Tod Tausender Menschen auf beiden Seiten in Kauf; und ausgerechnet ich muss mich zurückhalten?

Natürlich ist das sehr bauchnabelig im Vergleich zu dem Abgrund, auf den die Welt gerade sehenden Auges hinzu torkelt; aber mehr als mich selbst kann ich kaum beeinflussen - und selbst das ist schwierig. Vielleicht ist aber auch dieses Gefühl - dass ich selbst so unwichtig bin, dass es überflüssig ist, mich selbsttherapeutisch zu beschreiben - Ausdruck meiner Zurückhaltung. 

Offensichtlich jedenfalls hat eine kleine Bemerkung (fast wie nebenbei gesagt) in mir einen Nerv getroffen, der sich seither gar nicht mehr beruhigen will, weil es ja so scheußlich nah an der Wahrheit ist, dass man glauben könnte, die Person am anderen Ende der Botschaft kennte einen tatsächlich und sei nicht einfach nur eine erst eine Stunde alte Bekanntschaft. 

Andererseits interpretiere ich da vielleicht viel zu viel hinein, weil das Gehirn nun mal Muster im Chaos der Welt erkennen will, um alles zu sortieren und kategorisieren und damit irgendwie zu verarbeiten. Das Gehirn will auch nur seine Ruhe haben, wie ein ganz normaler Frosch. 

Andererseits andererseits halte ich mich ja tatsächlich zurück, nicht erst im Casting, nicht erst im letzten Jahr, nicht erst im letzten Jahrzehnt oder überhaupt in diesem Jahrtausend. Ich halte mich zurück, weil es mir (auf den ersten Blick) nicht geschadet hat. Und weil Zurückhaltung auch gesamtgesellschaftlich gewollt oder zumindest akzeptiert ist.  

Die letzten siebzehn, fast achtzehn Jahre beispielsweise habe ich in einer Kleinstadt gelebt, die ihre eigene Exzellenz predigt, in Progressivität allerdings eher unterperformt. Genau so lange hat die unionsgeführte Deutschlandverwaltung einen kaum abbaubaren Aufholbedarf geschaffen und uns gleichzeitig eingebläut, wie spitze alles ist. 

Mich beschleicht der Verdacht, dass nicht nur ich gelernt habe, Mittelmäßigkeit akzeptabel zu finden. Ist ja auch praktisch: wer sein Potential nicht ausschöpft, wer sich absichtlich kleiner macht, hat immer die perfekte Ausrede, wenn Dinge nicht funktionieren. Und wer aus Versehen zu ehrgeizig arbeitet, wird schon mal gebremst, damit die Kollegys nicht faul wirken.

Ich bin natürlich versucht, das Patriarchat als Schuldigen für diese Einstellung auszumachen, weil das Patriarchat (so wird es mir zumindest unterstellt) mein Lieblingsgegner in allen Fragen ist. Und es käme dem Patriarchat auch zupass, wenn alle ihre aktionistischen Regungen eher einhegen statt dauernd nach Revolution zu schreien. 

Stellt sich raus: das Patriarchat ist nicht an allem schuld; wenngleich es durchaus von der Bequemlichkeit der Eingelullten profitiert: Zuviel Enthusiasmus beim Hineinschleichen ins 21. Jahrhundert könnte zu unkontrollierbarem Pragmatismus führen, gar zu Improvisation oder Innovation. Und dann aus Versehen zu modernisierenden, machtkostenden Reformen. 

Wahrscheinlich sind wir auch ohne Patriarchat gerne bequem. Warum sich anstrengen, wenn das meiste auch so geht? Wozu über sich selbst hinauswachsen, wenn die Klamotten auch von allein zu eng werden? Warum nicht alles dem Zeitablauf überlassen? Manches hat sich in einem Monat oder drei Jahren oder nach der Sintflut eh von selbst erledigt.

Weil es natürlich um mehr geht. Darum, sich nicht aufzugeben.

Ich begnüge mich damit, einem Bild zu entsprechen, das ich mir als Kompromiss zwischen Authentizität und Anstoßlosigkeit etabliert habe. Ich finde die Realisierung meines Selbstbildes so mühsam, dass mich dabei ertappe, es lästig zu finden, für mich selbst zu kämpfen. Mühsam aber nicht nur wegen der potentiellen Meinung anderer, sondern meinetwegen.

Dass ich mich bei den Schriftstellern aussortiert habe, gehört da ebenso dazu wie der Nagellack, den ich für die Premiere des Antipatriarchatsstücks aufgetragen und direkt nach der Feier wieder entfernt habe. Dass ich lieber meine uralte Strickjacke zum xten Mal flicke, als mir endlich den flamboyanten Kram zu kaufen oder zu nähen, den ich eigentlich tragen will. 

Ich habe keine Lust auf eine mögliche Diskussion darüber, wer ich bin und wie ich mich ausdrücke, zumal ich die drohende Ablehnung mehr als zur Genüge kenne; diese Lustlosigkeit aber äußert sich nicht in einer Fuck-you-Haltung, sondern in einem andauernden Fuck-me. Statt den anderen mich selbst zuzumuten, halte ich mich einfach zurück.

Natürlich verrate ich damit mein Lebensziel, so echt, so authentisch und so unbequem wie möglich oder nötig zu sein. Aber es ging ja auch immer so; und ein bisschen war ich ja auch echt, authentisch und unbequem. Zumindest in der sozialen Blase, in der ich mich so sehr sicher gefühlt habe. Da habe ich nie daran gezweifelt, dass mir das reichen könnte. 

Nie wirklich gezweifelt. 

Natürlich war ich mir unterschwellig ständig dessen bewusst, dass ich unter meinen Möglichkeiten performe; nicht nur auf der Bühne, nicht nur in beruflichen Aspekten. Ausbildungen, die ich mir schlechtgemacht oder rational ausgeredet habe. Jobs, für die ich mich nicht tauglich genug fühlen wollte. Ich lag weichgekocht in lauwarmem Wasser.

Den Gedanken daran, dass ich zu mehr befähigt sein könnte, dass vielleicht sogar jemand an meinen Fähigkeiten interessiert sein könnte, habe ich ganz hervorragend wegprokrastiniert. Zur Not hilft da immer das Höllenloch Internet; gäbe es Wettbewerbe im Doomscrolling ... - nein, auch dafür hätte ich zu wenig Ehrgeiz für einen Spitzenplatz. 

Vor Jahren hatte ich eine Craniosakralmassage, und der Behandler meinte, er spüre eine große Spannung; ob es eine Blockade in meinem Leben gäbe. Natürlich hätte ich ihm damals sagen können, dass ich das selbst bin; bin aber vor lauter untätiger Liegerei einfach eingeschlafen. Beim Aufwachen war ich so verspannt wie lange nicht mehr davor oder danach. 

Die letzten Jahre hingegen habe ich mich zu sehr entspannt; das sehe ich nun aus der relativen Entfernung der halbneuen Heimat. Ich habe mich gehen lassen, habe mich aufgegeben, weil es mir um nichts mehr ging. Weil es mir schon lange nicht mehr um mich ging, sondern einfach nur darum, möglichst wenig Diskomfort zu verspüren.

Jetzt spüre ich nur noch meine Zurück/Fehlhaltung, aus der ich mich nicht rausprokrastinieren kann; auch, weil ich weiß, dass ich mich so sehr verloren habe, dass ich komplett gegen mein aktuelles Selbst gehen muss. Und da geht es natürlich um mehr als das Casting für eine Nebenrolle in einem mir unbekannten Stück eines Amateurtheaterensembles.

Da geht es um mein ganzes restliches Leben, das ich nicht einfach nur als Kaulquappe verbringen will, sondern vielleicht dann doch eher als überraschend selbsterhaltsorientierter Frosch. Vor allem, da ich mich ja hier in einem neuen Teich befinde, wo ich machen und tun und sein kann, was ich will und wie ich will.

Zumal ja auch ganz anders andererseits die Welt sich eh auf mehr Zumutung zubewegt. Hamas-Terror, Ukraine-Krieg, fragmentierte USA, ein fucking Viertel der Deutschen, das sich ganz empathiebefreit vorstellen kann, AfD zu wählen, weil es ihm offensichtlich scheißegal ist, welche realen Konsequenzen das für alle hat. Ach ja, und Klimawandel natürlich. 

Und ich halte mich selbst für die Zumutung, vor der alle anderen geschützt werden müssen.

Pfft. 

Science Fiction Triple Feature

Von der Front
September 26, 2023

Oppenheimer, der Langatmer über den gleichnamigen J. Robert, hat - anders als Barbie - ungefähr vier Frauen im Cast; ungefähr, weil zwei nur Deko sind, die dritte noch vor Mitte des Films gefridget wird und die vierte, immerhin Oppis Frau, nur als Resonanzfläche dient. Selbst patriarchatisierte Barbies verfügen über größeren Spielraum als Oppenheimer-Frauen.

Und während Barbie das Spannungsfeld "Feminismus vs. Patriarchat" aufmacht, muss Mister Man sich erst zwischen der (intellektuellen) Schlampe und der (hausfraulichen) Alkoholikerin entscheiden, bevor er die Atombombe erfinden, wegen seiner Freigeistigkeit von Big Atom ausgebootet, über Bande gerächt und ordensvoll rehabilitiert werden kann.

Öde Ode, gerettet nur durch die Koinzidenz mit Barbie, dem trojanischen Pferd des Sommers, das als Komödie angeritten kommt und existentielle Fragen über Gesellschaft, Gleichberechtigung und Gender stellt. Und rechte Schneeflocken derart anfasst, dass ein Megachurch-Führer mit einer an einen Baseballschläger geklebten Bibel ein Barbie-Haus verkloppt

Kannste dir nicht ausdenken, sowas.

Andererseits ist ja auch evangelikalen Christen Jesus zu woke

Dass Barbie übrigens ein Meisterstück in Queerness und Camp ist, zeigt James Somerton in seinem Video-Essay Deep Pink. Die Psychotherapeutin Georgia Dow wiederum untersucht in ihren Video-Essays zum Film die beschädigten Psychen von Barbie bzw. Ken und geht der Frage nach: Wie viel toxischer Feminismus trägt den Film?

Andererseits sollte man sich vielleicht weniger mit Barbie beschäftigen als viel mehr mit der Frage: Was will moderner Feminismus? Ist denn nicht schon alles gut? Frauen durften ja immerhin schon Kanzler werden. Spoiler: Es gibt noch Arbeit, bevor wir uns zurücklehnen dürfen. Aber das sehen natürlich nur die (Mikro- oder Makro-)Marginalisierten.

Der Dokumentarfilm Feminism WTF scheint grundlegende Antworten auf diese Frage zu finden und ist damit wahrscheinlich sehenswerter als Oppenheimer und Barbie zusammen. Zugegeben: ich habe den Film nicht gesehen, nur eine Kurzbesprechung, habe aber das Gefühl, dass er zumindest die Diskussion substantiell unterfüttern könnte. 

Denn das ist, bei allem Erfolg von Barbie die größte Schwäche: die berechtigten Anliegen des Feminismus geraten dank der notwendigen Camp-Verkleidung unter die Räder einer Markt- und Vermarktungsmaschine, so dass man den Film eben auch nur als langen Werbefilm sehen kann. Aber dann schon lieber Werbung für Puppen als für Atombomben. 

Unpasslichkeiten

Von der Front
September 4, 2023

Klamotten aussortiert. Hatte ich seit Jahren vor, jetzt gibt der semi-akute Umzug die nötige Zusatzmotivation. Über ein Dutzend farbverirrte Strickjacken und Pullover, über ein Dutzend geschrumpfte Hosen und über ein Dutzend zermusterte Hemden: macht keine Freude, raus damit. Der Kleiderschrank sieht dennoch kaum leerer aus, erst jetzt fällt auf, wie arg die untragbare Mode in den Schrank gequetscht war. 

Nun bin ich ja kein Fast-Fashion-Typ, der sich dauernd neue Sachen kauft. Das Ausgemusterte lag seit Jahren, teils Jahrzehnten ungetragen im Schrank und wurde dabei weder weiter noch hipper. Die Klamotten und ich - wir haben uns mit der Zeit einfach so weit von einander entfernt, dass wir einander nicht mehr passten. Sich zu trennen, war also die einzig richtige Lösung. 

Manchmal weiß man sowas: dass eine Entscheidung getroffen werden muss, die vielleicht lästig ist, die vielleicht aufwendig ist, die vielleicht mit der Anerkennung einer schmerzhaften Wahrheit zu tun hat (und sei es nur, dass ich einfach keine beigefarbenen Rippenstrickjacken aus Polyacryl in Größe S mehr tragen kann/will/sollte); und man schiebt sie trotzdem vor sich her. Hilft alles nix: Macht es keine Freude mehr, muss man loslassen. 

Leider passiert das nicht nur bei Kleidung, manchmal trifft es die Essenz eines Lebens. Wie oft beispielsweise habe ich mir schon vorgenommen, das Geschreibsel sein zu lassen; diesen Traum von lukrativer Wortarbeit aufzugeben. Ist ja nicht so, als wäre ich täglich dabei oder hätte außerhalb meines Blogs oder von Wettbewerben großartig was veröffentlicht. 

Ich kann aber trotz aller Hiatus - irritierenderweise lautet der Plural von /hiˈaːtus/ wohl /hiˈaːtuːs/ - dann immer wieder doch das Bedürfnis zu schreiben, und sei es "nur" ein Blogeintrag. In einer der letzten Bewerbungen habe ich die für mich immer wieder neue Entdeckung ins Anschreiben eingepasst (wenngleich anders formuliert), dass mich Schreiben ordnet und erdet und mir eine Welt erklärt, die mir sonst unpassend scheint.

Tatsächlich ist die Erkenntnis weder neu noch allein meine, spätestens seit ich Julia Camerons Ansatz der Morgenseiten für mich entdeckt habe (und es mir damit deutlich besser ging als vorher oder nachher), weiß ich, dass ich nicht der Entdecker dieser These bin. Andererseits habe ich irgendwo einen Zettel, auf dem ich als 13jähriger schon festgehalten habe, dass ich mich schreibend besser (oder zumindest weniger verwirrend) ausdrücken kann als mündlich. 

Und dann wieder gibt es Momente, da versage ich sogar schriftlich. Bei den Schriftstellern beispielsweise verheddere ich mich statt in Textarbeit immer wieder in Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen. Da versuche ich eine Lanze für progressive Empathie zu brechen, interpretiert wird es mir aber als überhöhter Schwachsinn. 

Wobei mir tatsächlich unklar ist, ob sich meine Argumentation so verheddert hat, dass ich meinen Punkt nicht verdeutlichen kann, oder ob sie schlicht falsch ist, zu radikal oder nicht informiert genug. Oder ob ich doch recht haben sollte, das Publikum aber mit meinen Worten nicht erreiche. Ich erlebe nur, dass meine Perspektive nicht zu der der anderen passt. 

Dabei wollte ich bei den Schriftstellern ja gar nicht über Weltanschauungen diskutieren, sondern über Texte. Irgendwie kann ich das aber nicht. Denn entweder will ich so gründlich sein, dass meine "Analyse" eines 250-Zeichen-Textes dreimal so lang ausfällt, oder aber ich habe zu einem Text nichts zu sagen außer "Gefällt (nicht)." Und das hilft ja nun auch niemandem weiter. 

Einzig bei Wettbewerben bin ich nie auf die Tastatur gefallen, da haue ich Kritik um Kritik raus ohne Rücksicht auf Verluste (und schäme mich hinterher für die Harschigkeit); vielleicht liegt es an der zeitlichen Enge, vielleicht an der relativen Vergleichbarkeit von Texten, die der selben Prämisse folgen (sollten). Vielleicht liegt es am überschaubaren Commitment. Da jedenfalls bin ich nicht schreibfaul, nicht übergründlich, ich sortiere impulsiv aus, was mir nicht passt.  

Jetzt - scheint es - habe ich mich selbst aussortiert. Bei einer Diskussion über den Barbie-Film, das Patriarchat und den Feminismus bin ich auf einer Inselmeinung gestrandet, zu der mir andere nicht folgen konnten. Oder - und das will ich niemandem unterstellen, nur um mich selbst nicht hinterfragen zu müssen - nicht folgen wollten. Denn ich weiß, dass ich falsch liegen kann; ich weiß nur nicht, ob das der Fall ist, wenn die Gegenseite einfach ausfällt. 

Andererseits: ich gehöre ja auch nicht zu den Schriftstellern, bin nicht einer von ihnen, bin nur Gast, der irgendwie immer in den Orkus von Diskussionen gerät, die mich in eine radikale Wokeness-Ecke spülen, in die ich mich selbst nicht einsortieren würde. Und wie bei den Wettbewerben, wo in der Regel meine Einschätzung zu Texten weit von der Rezipienz anderer abweicht, mache ich mich so aus Versehen und gegen meinen Willen zum Außenseiter. 

Wahrscheinlich klingt das nach Selbstmitleid oder Verbitterung. Klar, ich bin traurig, aber nicht enttäuscht. Irritiert vielleicht, wie bei den Hemden, die sich in der hintersten Ecke des Kleiderschranks versteckt hielten. Da fragt man sich auch, wieso man je gedacht hat, dass das hätte passen können. Hätte doch offensichtlich sein müssen, dass manche Farben und Muster nicht harmonieren; von falschen Größen mal ganz abgesehen. 

Da hilft dann nichts anderes als sich zu fragen: "Macht das noch Freude? Oder kann das weg?" Was ja nicht heißt, dass alles damit Zusammenhängende falsch gewesen wären - im Gegenteil: Wer oder was uns begleitet, entspricht Phasen unseres Lebens. Und irgendwann entwachsen wir diesen Phasen, diesen Kleidungsstücken, diesen Menschen. Und dann ist es wahrscheinlich besser, sich kurz und schmerzhaft zu trennen. Weil es eben nicht mehr passt. 

Die Kleiderkammer übrigens hat alles angenommen - leider ist aber auch da das Gespräch eskaliert (liegt also wohl doch an mir). Die Damen dort waren ungehalten über Tütenverbote, das Bürgergeld, den "Heizungshammer", kinderreiche Familien und die angeblichen 83 %, die sich von den restlichen 17 % durchfüttern ließen. Als sie dann noch sagten, dass man ja bald kaum mehr wisse, ob einem das eigene Land überhaupt noch gehöre, war ich schon out of Widerspruch.

Ich hatte nur meinen Kleiderschrank ausmisten, nicht reaktionäre Motten jagen wollen; noch dazu in einer Einrichtung, die gebrauchte Kleidung zu niedrigen Preisen an Menschen im Prekariat ausgibt. Ich hatte dort Menschen mit Gemeinschaftssinn erwartet, keine fremdenfeindliche Silberrückenbrigade. Andererseits bin ich ja gerne naiv. Nur weil jemand aussieht wie eine nette Omi, heißt das nicht, dass sie einem nicht den Rollator in die Hacke dengelt.

Die Klamotten habe ich trotzdem dagelassen. Ist ja nicht die Schuld der Bedürftigen, dass sie bedürftig sind - auch wenn sowohl die Silberrücken als auch die Schriftsteller da sicherlich anderer Meinung sind. Ich werde sie nicht überzeugen; Menschen - eine weitere Erkenntnis, die ich leider immer wieder vergesse - können sich nur selbst überzeugen. Gegen eingefahrene Meinungen kommt man von außen einfach nicht an. 

Und dann hilft einfach nur: loslassen. Sei es das Ego; sei es das einst heißgeliebte Hemd mit den Palmwedeln drauf, von dem man dachte, es lasse einen lässig erscheinen (außerdem war der Stoff sehr weich), dabei war es einfach nur grau; sei es eine verwirrende Institution, zu der man ohnehin nie einen richtigen Draht gefunden hatte. Was nicht passt, kann selten passend gemacht werden. Manchmal kann die Frage "Wird es jemals wieder Freude machen?" nur verneint werden.

Gleichzeitig kann man nie etwas wirklich wissen. Feststellungen sind Momentaufnahmen aktuellen Kenntnisstandes, selten Absoluta. Wir können ja in uns selbst schon nur begrenzt hineinsehen, wie sollen wir da Mitmenschen oder die Welt verstehen? Alle Zuschreibungen sind gefärbt von Meinungen, Erwartungen, Umständen. Wir treffen auf Basis der Vergangenheit Annahmen über die Gegenwart, ohne zu wissen, ob sie auch in Zukunft passen.

Manchmal liegen wir richtig damit, manchmal nicht. Aber jetzt sortiere ich erstmal aus.   

Zeitumkehr

Von der Front
Juli 20, 2023

Wie die Tage ineinanderfließen. Eben war noch letzte Woche, gleich ist August. Demnächst vielleicht Umzug, seit einem halben Jahr demnächst vielleicht Umzug; und trotzdem ist die Zukunft nicht greifbar, die eigentlich schon Gegenwart sein sollte. Die alte Heimat ist fast nur noch Traum, Erinnerung, ein Es-War-Einmal. Gleichzeitig ist die neue Heimat ein Noch-Nicht, eine Vorstellung, eine Hoffnung. Noch ist es nicht soweit. Noch ist nichts so weit. 

Noch. Nichts schlimmer als Hoffnung, als Warten, ungewiss sein. Nichts schlimmer als wieder und wieder die Deadline gerissen zu sehen. Wann darf ich endlich loslassen, wann darf ich endlich fallen? Wann bin ich frei genug, ein neues Leben anfangen zu dürfen? Oder hat das neue Leben vielleicht schon begonnen, und ich sehe es nur noch nicht?

Derweil fließt alles ineinander und doch an mir vorbei: bin ich nicht auf der Baustelle, bin ich in Hyrule: Tears of the Kingdom, das jüngste "Legend of Zelda"-Spiel, lässt mich nicht los. Noch eine Herausforderung in meinem Leben. Genau was ich brauchte. Als überforderten mich nicht schon genügend unfertige Projekte. Vielleicht brauche ich es aber wirklich: weil es etwas ist, was ich beherrschen kann und auch beherrsche. 

Eine Spielmechanik von Tears of the Kingdom (zungenfreundlich abgekürzt TOTK) ist die Zeitumkehr. Dingliche Bewegung kann rückgängig gemacht und so für das eigene Fortkommen genutzt werden. Felsen, die aus einem bislang noch unklaren Grund aus den Wolken gefallen sind, dienen so dem Aufstieg in den Himmel: einfach Zeitumkehr hinzufügen, voilà, Sie baden gerade Ihre Hände darin.

Natürlich ist das ohnehin ein Grundmotiv des Spiels: der Wunsch nach Rückkehr in die Vergangenheit, in ein Goldenes Zeitalter, das irgendwie verschütt gegangen ist. Kennt man, den Wunsch, ist ja mehr oder weniger spezifisch den meisten von uns inert. Zumindest all jenen, die irgendwie das Gefühl haben, dass früher mal alles besser war. Oder zumindest besser gewesen sein musste, denn so schlimm wie heute war es noch nie. 

Wahrscheinlich alles eine Frage der Erwartungshaltung. Wenn ich meine Situation gerade suboptimal finde, hoffe ich natürlich auf Besserung; wenn die aber nicht eintritt, sondern - wie üblich - der Status Quo nur eine Verlagerung der Baustellen erlebt, dann ist zwar nichts besser oder schlechter, meine zu optimistische Erwartung wurde trotzdem unterlaufen. Anders reicht einfach nicht als Veränderung, es soll schon auch gut sein. 

Rückblickend könnten wir den Fehler daran erkennen. Da könnten wir die Erwartungshaltung anpassen, da könnten wir analysieren, dass nicht die Ergebnisse ernüchternd, sondern die Hoffnung im Vorfeld zu groß, zu naiv war. Da könnten wir uns sagen: Wir haben uns beim Buffet möglicher Enttäuschungen zu großzügig bedient und einiges nicht abräumen können (wie bei jedem All you can eat put on your plate).

Natürlich sagen wir das nicht, erkennen wir das nicht, akzeptieren wir das nicht. Wir sehen nur die gerissenen Deadlines, die enttäuschten Gesichter, den Frust, die schlechte Laune. Vielleicht auch darum TOTK. Da gibt es keine Enttäuschung, das Unglück ist passiert, die Apokalypse liegt hinter uns, was soll man machen. Muss ja irgendwie weitergehen, man richtet sich ein am Abgrund, der sich plötzlich im eigenen Leben aufgetan hat. Und lebt damit.

Denn alles rückgängig machen, den bösen Geist wieder in die Flasche, das dunkelrote Geschmier, das sich über die WElt gelegt hat, wieder zurück in die Zahnpastatube stopfen, das geht nicht. Die Zeitumkehr erschöpft sich auf der Kurzstrecke, den letzten 30 Sekunden. Noch dazu ist sie nicht auf Komplexität ausgelegt, nutzt die historisch-kinetische Energie nur eines einzelnen Dings, seine (wie es spielintern heißt) Kurzzeiterinnerung an einen subtil früheren Zustand, der Rest des Systems folgt weiter seinem Lauf (so physikalisch/logisch falsch das auch sein mag).

Trotzdem verspüre ich im Spiel ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, über das ich in der Realität nicht verfüge. Ich bringe Dinge in Bewegung, ich bringe NPCs in ihren eigenen Geschichten und Handlungspunkten voran, und wenn ich mal nicht weiter weiß, schaue ich in meinem Logbuch mit Quests und Aufgaben nach. Alles im Spiel ist vorprogrammiert, ich bin die einzige Variable und selbst als solche noch Teil des Musters. Die Frage ist nicht, ob ich auftauche, sondern nur: wann.

Im Spiel geht alles seinen Gang, und wenn es den nicht geht, dann kann ich einen früheren Spielstand laden und es einfach erneut probieren. In der Realität funktioniert das natürlich nicht. Überhaupt ist die Realität dreisterweise ganz anders. Nicht nur hadern die NPCs dauernd mit allem (auch noch mit der jüngst überwundenen Apokalypse), sie handeln auch oft eigenständig und unvorhersehbar, folgen keinen vorhersehbaren Mustern. Lästig.

Könnte ich einen früheren Stand der Renovierungen laden, ich würde einiges anders machen. Anders planen, anders kommunizieren, anders koordinieren. Auch grundsätzlich andere Entscheidungen treffen, manche Dinge streichen. Ich würde auch rund um die Baustelle einiges verändern. Hätte ich gewusst, wie lange ich auf dem Dachboden leben würde, ich hätte mich anders in diesem Leben eingerichtet. 

Hätte, hätte, Fahrradkette. Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen, heißt es, wir können nur daraus lernen. Ich habe es versucht, daraus zu lernen, und doch habe ich das Gefühl, nicht weiter zu sein als zu Beginn. Doch: etwas in mir ist anders, ich bin einsamer, mürber, zwischen Es-war-einmal und Noch-nicht zerrissen, zeitlich und räumlich. Meine Haut ist dünn geworden in diesen Monaten und ich wünschte, ich würde mir nicht wünschen, es wäre anders.  

So aber bleibt alles, wie es ist. Die Tage fließen ineinander, die Nächte blinzeln sich weg; eben war noch letzte Woche, demnächst ist schon August. Und der Umzug. Der ist nah oder fern, irgendwann auf jeden Fall. Außer, es kehrt mir doch noch jemand die Zeit zurück. 

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.

Impressum
Datenschutzerklärung

Anderswann