Corona, immer noch | ANDERSWOLF

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Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Corona, immer noch

Von der Front
November 17, 2020

Kann mich gar nicht mehr erinnern, wie das mal war, damals. Vorher. In den anderen Zeiten. Wird ja aber irgendwie gewesen sein, kann ja gar nicht anders. Damals. Muss ja irgendwie.

Muss ja, das sage ich jetzt dauernd, wenn mich wer fragt. 

Wie geht's, sagen sie, und ich weiß so gut wie sie, was sie meinen. Hältst du es noch aus, wenn ja wie? Bis du noch psychisch gesund, wenn ja, wie lange noch? Hattest du schon deinen Nervenzusammenbruch oder kommt der bald?

Wie geht's, fragen sie also, und alles, was mir einfällt, ist: Muss ja. 

Anders geht's halt auch nicht mehr. Muss ja. Kann ja eh nix ändern dran. Die Welt geht auch ohne mich unter, ob ich nun was an der Gesamtsituation auszusetzen habe oder nicht, weiter abwärts geht's immer. 

Am vorvorigen Wochenende war in Leipzig Demo. Erst gegen Corona, dann gegen die Corona-Gegner. Wasserwerfer haben nur die letzteren bekommen, weil die Dinge angezündet haben. Die ersten haben nur ihr Hirn verbrannt. Die Gesellschaft bekommt gezeigt: Wer gegen Corona demonstriert, bekommt keinen Wasserstrahl ab und keine Polizeigewalt. Wer jedoch gegen die bei den Querdenkern mitlaufenden Nazis demonstriert, bekommt auf's Maul. Gerade in Sachsen ein schlechtes Signal. 

Überhaupt die Querdenker. Was ist los bei denen? Wie sind die so geworden? Wie kann man abdriften in eine Welt, in einen Denkraum, wo es nicht komplett absurd ist zu glauben, Bill Gates habe nichts Besseres zu tun als die Weltbevölkerung zu chippen? Wo es plausibel erscheint, dass ein international agierendes Konsortium Kinder entführt, um ihr Adrenochrom in unterirdischen Kellern abzuzapfen, damit ... äh ... irgendwas mit Unsterblichkeit. 

Wie geht das? Wie kann jemand da einfach das Gehirn ausschalten und sagen: Das glaube ich jetzt mal. Wie stellt man sich denn die Logistik vor? Wer zapft das Zeug denn da ab, wie wird es abgefüllt? Wie transportiert man das und wie wird es konsumiert? Wenn da weltumspannend dran gearbeitet wird: wer arbeitet da dran? Das müssten ja Unmengen von Menschen sein, die nichts anderes machen als Adrenochrom abzuzapfen. Wo soll das stattfinden? 

Wie geht das, frage ich, und die Corona-Leugner, Impfgegner, Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Gesellschaftsfeinde, Merkelhasser sagen: muss ja. Muss ja irgendwie gehen. Bin ich Logistiker? Muss ich das sein? Nein, ich bin doch nur der Wahrheit verpflichtet, nicht der Aufklärung. 

Ungläubig sitze ich da vor dem Fernseher oder eigentlich nicht mehr, denn ich ertrage es nicht mehr, mit welcher Vehemenz die Medien ihre Kameras da draufhalten, als könne man die Stupidität aus den Menschen herausfilmen und sie genesen lassen. Dabei bedienen alle, die den Skeptikern eine Plattform bieten, doch nur das Dopamin-High der Lügenjunkies. Filme mich, ich erzähle dir all die Lügen, die du dir selbst nicht ausdenken kannst. Ich sehe was, das habe ich selbst noch nicht gesehen. 

Hätten wir uns im Sommer vielleicht mal lieber um wirksame Therapie-Ansätze gekümmert, um Strategien zu Eindämmung, um Aufrüstung der Schulen mit Digital- und Lüftungstechnik. Oder vielleicht wenigstens mal einen Plan erarbeitet mit dem Parlament, um auf die von allen halbwegs seriösen Unkern zu Recht vorhergesagte zweite Infektionswelle akzeptabel zu reagieren. Oder um wenigstens dafür zu sorgen, dass die versprochenen Hilfsgelder wenigstens in absehbarer Zeit bei denjenigen ankommen, die sie spätestens jetzt dringend brauchen: Soloselbständige, Alleinerziehende, Pflegekräfte, was weiß ich. Bin ich verantwortlich? Muss ich das wissen, wer alles Geld bekommen sollte, aber mittlerweile die Altersversorgung aufgebraucht hat und statt eines heimeligen Weihnachtsfestes heuer halt mal nur die alten Lebkuchen vom letzten Fest aufkaut? Nein muss ich nicht, denn ich bin ja nicht verantwortlich. 

In meiner Verantwortung liegt wenig. Bin ich froh drum. Ich kann einfach hier auf meinem Stuhl sitzen und ab und zu ans Fenster treten, die Menschen anschauen, die unten durch die Straße laufen, schon wieder Klopapier aus der Drogerie schleppen, als wollten sie ...
Ach, die Art von Witzen waren halt auch nur in der ersten Welle scherzig, und das auch nur für ein paar Sekunden. 

Muss ja, so kommt man da durch. Man schaut die Menschen nicht mehr an, man setzt die Maske auf und hofft darauf, dass einen niemand mehr erkennt und am Ende fragt: Na, wie geht's?

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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