13 | Die Drei | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

13 | Die Drei

Yelda
November 10, 2010

Unter mir lagen wieder der See und das Dorf. Aus großer Höhe sah ich darauf hinab. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, und ich konnte kaum glauben, dass ich diesen friedlichen Ort mit den leicht erregbaren Menschen beinahe vernichtet hätte. Ich sank tiefer, immer näher an den Boden, wo ich bald erkannte, dass die Hütten, die dem See am nächsten standen, Schäden davongetragen hatten, als der Nachhall des flammenden Baumes über sie hinweggezogen war. Die Männer und Frauen des Dorfs halfen einander, die Dächer zu flicken.
Ich hielt Ausschau nach Remde, denn ich hoffte, ihn irgendwo unter den Menschen des Dorfs zu erkennen, doch suchte ich ihn vergebens. Für einen Moment dachte ich, vielleicht sei er doch gestorben, bis mir bewusst wurde, dass Terno mich nicht belogen hatte, als er sagte, dass Remde überleben würde.

Meine Aufmerksamkeit und die einiger Menschen wurde auf den Waldrand gezogen, denn dort waren zwei Frauen und ein Mann erschienen. Der Mann trug einen langen blauen Mantel, die eine der beiden Frauen eine gelbe Hose und ein kurz geschnittenes Hemd in derselben Farbe, die andere einen langen Rock aus fließendem roten Stoff und darüber einen ebenso roten kurzen Mantel. Sie gingen ohne Zögern auf das Dorf zu, wo sich schon einige Menschen versammelt hatten. Bukon konnte ich nicht darunter entdecken. Als die buntgekleideten Fremden auf Rufweite herangekommen waren, rief ein großer Mann, der kein Hemd trug, sondern nur einen schweren Hammer: "Verschwindet!"
Ich war verblüfft. Waren das die gleichen Menschen, die noch vor wenigen Tagen vor mir auf dem Boden gelegen hatten? Ganz eindeutig hatten sie den Respekt vor jenen, die Bukon als Hohe bezeichnet hatte, verloren.
"Wir wollen Euch hier nicht. Verschwindet!" rief der große Mann erneut.
Doch die drei Neuankömmlinge machten keine Anstalten zu gehen. Im Gegenteil näherten sie sich weiter dem Dorf. Der blaue Mann schlug seinen Mantel auf, seine Kleidung darunter war ebenfalls blau, doch so dunkel, dass sie fast schwarz aussah. Das Licht spiegelte sich in dem Material, als er näher kam.
"Wir sind gekommen, weil wir jemanden suchen", sagte er  leise, und doch war seine Stimme so deutlich zu hören, dass selbst jene, die am weitesten weg standen, es gehört zu haben schienen.
"Wir suchen", sagte die gelbe Frau, "eine junge Frau. Sie ist vor einigen Tagen in dieses Dorf gekommen. Sie hat gestern einen Menschen verletzt und eine der unseren beinahe vernichtet."
"Wo ist sie?" fragte die Frau in Rot.
"Sie ist fort. Und ihr solltet ebenfalls verschwinden, wenn ihr wisst, was gut für Euch ist." Der Mann mit dem Hammer trat ein Stück vor. "Dies ist unser Land, wir werden nicht mehr zulassen, dass Fremde alles zerstören."
Einzelne Männer und Frauen, die hinter ihm standen, nickten.
"Droht uns nicht, wir haben Euch nichts getan."
"So lange Ihr immer noch in Sichtweite seid, werde ich diesen Hammer nicht aus der Hand legen."
"Wir werden gehen, wenn Ihr unsere Fragen beantwortet: Wohin ist die Fremde gegangen?"
"War sie alleine?"
"Was ist geschehen?"
"Verschwindet! Wir werden keine Fragen beantworten!" Der Mann mit dem Hammer trat noch einen Schritt auf die drei zu. "Ich habe Euch oft genug gewarnt. Wir wollen keine Fremden hier und wiaaaah ..." Sein Satz endete in einem gutturalen Schrei, als er auf die Knie fiel und sich das Handgelenk hielt. Die gelbe Frau trat einen Schritt vor und sagte: "Niemand droht uns."
Und die Frau in Rot rief, um die Schreie des Mannes zu übertönen: "Wohin ist sie gegangen?"
Doch die Menschen des Dorfs schwiegen. Sie waren ein Stück zurückgewichen und starrten auf den sich krümmenden Mann, dessen rechte Hand nun nicht mehr den Hammer umklammerte, sondern dessen Arm direkt in den Griff des Werkzeugs verwachsen war. Immer noch schrie er und noch immer kamen die Drei näher.
"Niemand wird leiden, wenn Ihr uns Auskunft gebt, wie wir es wollen."
"Und wenn nicht?" fragte ein junges Mädchen, die Stimme vor Angst bebend.
"Dann werdet Ihr wünschen, Ihr hättet uns nicht abgewiesen." Der Blaue lächelte sie an, dann schnippte er mit den Fingern, und das Mädchen fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. "Wird uns jetzt jemand antworten?"
Doch sie warteten keine Antwort ab, sondern verloren ihre Form, umflossen wie farbiger Rauch die Menschen, hüllten sie ein und drängten ihnen in Mund und Nase, Augen und Ohren. Ich wusste, sie brauchten nicht die Worte der Menschen, um zu erfahren, was mit mir geschehen war, und wer mich begleitete. Sie würden alles erfahren, was sie wissen mussten.
Dienjenigen, die vom Nebel berührt worden waren, brachen leblos zusammen, einige bluteten aus Augen und Ohren. Es tat mir weh, mitansehen zu müssen, dass das Dorf, das ich verlassen hatte, um es vor dem Schatten zu retten, nun von diesen grausamen Wesen zerstört wurde.
Hätte ich in diesem Moment einen Körper gehabt, ich hätte Tränen um diese Menschen vergossen und Tränen auch um mich, die ich den Untergang über sie gebracht hatte.
Und dann hörten sie einfach auf. Die farbigen Rachfahnen verdichteten sich wieder und zu dritt standen sie vor dem größten Haus des Dorfs. Die Tür stand offen, so dass ich hineinsehen konnte. Remde lag dort auf einem Lager aus Tierfellen. Er hatte die Augen geöffnet und sah die drei Fremden an.
"Willkommen", sagte er mit rauher Stimme. Eine Brandwunde bedeckte die linke Seite seines Gesichts und sein linkes Auge war schwarz verbrannt. Und als er weitersprach, war seine Stimme wie Rauch und seine Worte wie Flammen, die sich in meine Wahrnehmung brannten: "Ich heiße Euch willkommen. Mandu sagte Euer Erscheinen voraus. Lasst mich Euch helfen."

Als ich meine Augen öffnete, stand Terno am Rande des Steins und blickte in die Ferne. Ich stand auf und versuchte zu erkennen, was er sah, doch außer Bäumen und Büschen konnte ich nichts erkennen.
"Hast du gut geschlafen?" Terno blickte immer noch ins Leere und sah mich nicht an.
"Ich hatte eine Vision", sagte ich. "Zumindest fühlte es sich an wie eine. Aber ich glaube, dass sie die Wahrheit war."
"Das, was die Menschen Visionen nennen, sind zumeist die Wahrheit, wenngleich nicht immer, wie sie sich den Menschen später präsentiert."
Er sah mich an, und der Blick seiner strahlend grünen Augen wärmte mich wie die erste Frühlingssonne die Erde nach dem langen Winter wärmt. "Du bist beunruhigt. Was hast du gesehen?"
"Drei Wesen von deiner Art. Sie haben das Dorf zerstört." Ich musste mich zwingen, weiterzusprechen. "Ich glaube, sie haben Remde getötet."
"Du bist sicher, dass es kein Traum war?"
"Warum sollte ich so etwas träumen?"
"Träume spiegeln oft die Ängste der Menschen wieder. Nicht alles, was die Menschen träumen, erfreut sie." Er zog die Augenbrauen hoch und legte den Kopf schief. "In der Tat glaube ich, dass die wenigsten Menschen angenehme Träume haben."
"Es war kein Traum, ich bin mir sicher."
"Dann glaube ich dir. Und wenn im Dorf geschehen ist, was ich glaube, dann sollten wir bald weiter."
"Du sagtest, dieser Ort sei sicher."
"Er ist es noch. Doch die drei sind Wesen meiner Art, sie wissen, wo wir uns voreinander verstecken können."
"Das ist etwas, was ich dich ohnehin fragen wollte. Warum verfolgen sie dich?"
"Ein alter Streit. Auch wenn wir von der gleichen Art sind, heißt das nicht, dass wir die gleichen Dinge wünschen. Oder dass wir einander schonen, wenn es um ... Dinge geht, die uns am Herzen liegen."
Die Art, wie Terno das gesagt hatte, fand ich merkwürdig, doch ich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Wir hatten dringlichere Aufgaben.
"Können die Drei uns aufspüren, wenn wir nicht an sicheren Orten sind?"
"Sie können unseren Spuren folgen, wenn wir welche hinterlassen."
"Dann müssen wir mehr auf Laub und weniger im Matsch gehen", sagte ich, als ich mich daran erinnerte, wie tief die Spuren gewesen waren, die ich am frühen Morgen hinterlassen hatte.
Zum ersten Mal lachte Terno, ziemlich unpassend, wie ich fand, andererseits sprang sein Lachen auf mich über und ich lächelte ihn breit an.
"Ich meinte andere Spuren. Natürlich könnten die Drei auch deinen Fußstapfen folgen, doch sie würden sich nicht damit aufhalten, wenn sie gleichzeitig auch dem Signalfeuer unserer Kraft folgen können."
"Aber ich benutze meine Kraft nicht." Und nach dem, was mir Terno in der Nacht gesagt hatte, wollte ich es auch nie wieder.
"Das ist wahr, allerdings müssen wir auch sicherstellen, dass deine Kraft nicht dich benutzt. Deine Visionen beispielsweise ..."
"Ich habe sie doch nicht absichtlich!" unterbrach ich ihn, doch er lächelte nur und sagte: "Das glaube ich dir auch. Du kannst sie aber auch nicht kontrollieren. So lange wir an sicheren Orten sind, sind sie ungefährlich, doch nicht immer werden wir einen solchen Ort vorfinden können."
"Dann werde ich mich stärker konzentrieren."
"Vergiss nicht, du hast jetzt einen sterblichen, einen erschöpfbaren Körper. Er wird Schlaf brauchen und deine Konzentration unterbrechen."
"Dann musst du mich wachhalten."
"Dann werde ich dich wachhalten." Er machte eine Pause und sah mich an. "Und ich werde dich lehren, deine Kraft zu kontrollieren."
"Mandu hat mich gelehrt zu lauschen und zu sehen."
"Das ist gut."
"Also hat sie mir doch nicht schaden wollen?"
"Das sind zweierlei Dinge. Sie hat dich unterrichtet, um sich selbst zu schützen. Sie wollte nicht, dass du entdeckt wirst."
"Oder, dass ich meine Kraft einzusetzen lerne?"
"Dass du deine Kraft überhaupt einsetzt. Sie wusste wahrscheinlich seit eurer ersten Begegnung, dass sie dir unterliegen würde, käme es zu einem Kräftemessen. Das konnte sie nicht riskieren."
"Und doch hat sie es letztlich getan."
"Ich glaube, sie wollte, dass dich der Schatten am Ende doch verschlingt, wenn sie dich schon nicht besiegen konnte."
"Mit dir hatte sie nicht gerechnet."
"Nein. Ich hatte meine Kraft vor ihr verborgen."
"Kannst du mich das auch lehren?"
"Ich kann und ich werde. Und ich muss, wenn wir unerkannt reisen werden."
"Wann fangen wir an?"
"Jetzt."

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
Impressum

Und nein,
ich will Eure Cookies nicht.
Datenschutzerklärung

Anderswann