33 | Baneh, Bamar und Antejar | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

33 | Baneh, Bamar und Antejar

Yelda
November 30, 2010
Und dann ließ er ab von mir. Das plötzliche Fehlen seiner mich kurzzeitig überwältigenden Präsenz erzeugte eine Art Sog, die mir die Konzentration nahm und meinen Schild in sich zusammenbrechen ließ. Doch statt nun gänzlich von Remde besiegt zu werden, fiel er auf die Knie und starrte mich an. Tränen liefen über sein von den Flammen gezeichnetes Gesicht, und ich sah, dass er Schmerzen litt. Ich wusste, dass auch er die Bilder von Mandu gesehen hatte, aber auch die Bilder, die ich von der Welt hatte, die ich von meinem Kampf mit den Dreien hatte, die ich von Antejar, Bamar, Baneh, Sobekan hatte. Vor allem aber die Erinnerungen, die ich an ihn hatte. Ich hatte mich an meine Verwirrung bei unserer ersten Begegnung erinnert, an die endlosen Fragen, die ich ihm gestellt hatte, an meine lächerlichen Versuche, Verstehen zu zeigen, wo ich durch seine Erklärungen nur noch mehr irritiert war und neue Fragen sich in meinen Geist drängten. Er sah wie ich auch gesehen hatte, wie wir an Mandus Quelle saßen, sah meine Ohnmacht und meine Vision und sah, dass es meine Verbindung zu ihm gewesen war, die ich nicht als Liebe verstand, nicht verstehen konnte, die mich zu ihm geführt hatte, als das Dunkel ihn zu verschlingen drohte, und er musste erkennen, dass ich, obwohl ich unfähig gewesen war zu verstehen, dass ich ihn liebte, ihn doch geliebt hatte. Und es war diese Erkenntnis, die ihn zu Tränen und Reue rührten.

So fanden sie uns. Antejar, Bamar und Baneh, die sich solche Sorgen um mich gemacht hatten, weil sie seit Stunden auf mich gewartet hatten, hatten mich gesucht. Als sie einen Passanten anhielten, der von einer unerklärlichen Art Kampf berichtete, bei der überwiegend keine offensichtlichen Schläge ausgetauscht wurden, aber die gesamte Umgebung in Mitleidenschaft gezogen wurde, war ihnen schnell klar, dass sie schnellstens dorthin mussten.
„Yelda?“ Antejars Stimme über mir klang sorgenvoll und, als ich meine Augen öffnete, sah ich, dass sein aufmunterndes Lächeln nur unzureichend die Angst in seinem Blick verschleierte. „Yelda? Bist Du verletzt?“
„Antejar?“ Ich musste mich knozentrieren, um sprechen zu können. Die verstörenden Bilder aus Remdes Erinnerung lagen wie ein Film über allem. „Bamar? Baneh? Was macht Ihr hier?“
Baneh sagte: „Wir haben von dem Kampf gehört, und wollten Dir helfen!“
„Mir helfen? Wie wollt Ihr das tun? Es ist kein Kampf für jene, die nicht zaubern können.“
„Aber wir sind Deine Freunde“, sagte Bamar, und der Ton, in dem er das sagte, ließ mich trotz meiner Erschöpfung lächeln.
„Gerade weil Ihr meine Freunde seid, müsst Ihr fort von hier. Es ist nicht sicher hier für Euch, und Ihr könnt nichts tun.“
„Wir bringen Dich fort von hier.“
„Nein, Baneh, das wird nicht möglich sein.“ Ich wies auf Remde, der keine drei Schritte von uns entfernt am Boden kauerte und weinte.
„Ist das Terno?“ fragte Antejar.
„Nein, das ist Remde. Er ist ein alter Freund. Ich habe ihm viel zu verdanken, denn er hat mich damals im Wald gefunden.“
„Aber habt Ihr nicht gegeneinander gekämpft?“
Bamar sah sich die zerstörten Gebäude um uns an und sagte: „Ist es so gefährlich, mit Dir befreundet zu sein?“
Ich lächelte ihn an und sagte: „Manchmal entfernen sich Freunde so sehr voneinander, dass sie nicht mehr wissen, ob sie auf der gleichen Seite stehen. Und so wie Ihr aufgrund unserer Freundschaft gekommen seid, mir zu helfen, muss ich Remde helfen, sich wieder an sich selbst zu erinnern, wenn es noch nicht zu spät ist.“
„Dann wirst Du nicht mit uns kommen?“
„Nein Antejar. Ich kann nicht.“
„Dann bleiben wir bei Dir.“
„Das geht nicht. Es ist nicht sicher, das sagte ich doch schon. Ihr müsst fliehen, um unserer Freundschaft willen müsst Ihr mich verlassen.“
„Aber entfernen wir uns denn dann nicht auch voneinander?“
„Ja und nein. Antejar, Du verstehst, was ich meine, nicht wahr?“
„Ja. Ich verstehe es, und ich bin mir nicht sicher, ob ich gut finde, was Du vorhast. Und doch weiß ich, dass manchmal eine Aufgabe alleine erledigt werden muss. Ich habe einen Krieg hinter mir, ich weiß, was es bedeutet, eine Schlacht ohne Rücksicht auf sich selbst zu schlagen, wenn man die, die man liebt, dadurch retten kann.“
„Dann erkläre es den beiden bitte. Bring sie so weit weg wie möglich. Folgt dem Fluss an sein Ende und kehrt nicht mehr hierher zurück. Ich werde Euch folgen, so bald ich kann.“
„Ich kümmere mich um die beiden, versprochen.“
„Was heißt das?“ mischte sich Baneh ein.
„Das heißt, dass wir jetzt gehen, Junge.“
„Aber wir können doch nicht …“
„Wir können und wir müssen. Komm jetzt.“
„Bitte Baneh, vertrau mir. Ich will nicht, dass Ihr verletzt werdet.“
Ein freudloses Lachen machte mich wieder auf Remde aufmerksam, der nicht mehr auf dem Boden kauerte. Er war aufgestanden, seine Augen noch verquollen, aber nicht mehr traurig. „Du magst diesen Satz, nicht wahr?“
„Remde? Ich sage nur die Wahrheit. Ich will niemanden verletzen.“
„Als ob Du nicht wüsstest, dass Du genau das doch am besten kannst.“
„Was meinst Du?“
„Was ich meine? Dass Du in Kauf nimmst, dass die, die Du Deine Freunde nennst, umkommen. Statt sie selbst zu beschützen, verlässt Du sie unter dem Vorwand, sie damit schützen zu wollen. Dabei entfernst Du sie doch nur aus Deinem Einflussbereich, damit Du Dich besser verstecken kannst. Du stößt die Menschen von Dir wie lästige Tiere.“
„Remde, das ist nicht wahr und Du weißt es.“
„Ist es denn nicht wahr, dass Du mich verlassen hast, kurz bevor die Jenseitigen mein Dorf zerstörten?“
„Geht“, sagte ich zu Antejar und den Brüdern. „Verschwindet.“
„Ja, schick sie nur fort, damit sie nicht die Wahrheit über Dich erfahren.“
„Sie sollen verschwinden, damit ihnen nicht das Gleiche geschieht wie Dir. Du hast recht, dass die Menschen, die mir nahe sind, viel zu oft zu Schaden kommen. Aber nicht, weil ich das will, sondern, weil ich ein zu deutliches Ziel abgebe.“
„Nein, weil Du die Schläge, die Dich treffen sollen, auf andere ablenkst!“
„Geht! Bei den Göttern, geht!“ rief ich Antejar zu, und er zog sich zurück, jeden der Brüder an einer Hand. Zu Remde gewandt sagte ich: „Ich weiß, was in Dir vorgeht, Remde. Ich gebe zu, ich habe Dich und Dein Dorf verlassen, kurz bevor das Dunkel über Euch hereinbrach. Aber wäre ich nicht gegangen, wäre Dein Dorf vollständig verschwunden gewesen. Es wäre nichts weiter als ein schwarzer Fleck in der Landschaft gewesen.“
„Und was ist es jetzt? Alle Menschen, die ich kannte, sind tot. Mein gesamtes Leben ist auf einen Schlag ausgelöscht, Deinetwegen!“
„Aber Du lebst!“
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Antejar fast weit genug weg war. Ich hoffte, er würde schnell genug mit den beiden Jungen vorankommen, um sich und sie zu retten.
„Ich lebe? Du weißt doch nicht einmal, was das heißt! Du hast doch keine Ahnung, was Leben ist und Leiden, was Liebe ist! Du bist doch nur eine Hülle, der Schatten eines Menschen!“
„Nimm das zurück!“ Ich hatte ihn nicht bemerkt, hatte nicht gesehen, wie er sich von Antejar losgerissen hatte, hatte nicht gesehen, wie er die Hände seines Bruders abgeschüttelt hatte, hatte nicht gesehen, wie er sich auf Remde gestürzt und ihn mit sich zu Boden gerissen hatte.
„Nimm das zurück! Nimm es zurück!“ Immer wieder schlug Baneh mit seinen Fäusten auf Remdes Kopf und seinen Oberkörper ein.
„Baneh! Nicht!“ rief ich, doch der Junge, der im Gerangel mit Remde nicht auf mich achtete, hörte mich nicht. Ich stürzte auf die beiden zu und sah aus den Augenwinkeln auch Antejar, der mit langen Schritten näherkam, doch wir beide kamen zu spät.
Ich spürte, wie Remdes Kraft sich Bahn brach und sich durch den Körper des Jungen entlud. Baneh wurde ein Stück in die Luft geworfen, und grüne Flammen umzüngelten ihn, bevor er sich in Staub auflöste. Remdes ungezügelte Kraft hatte Baneh vollständig verzehrt.
Baneh war tot.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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