Die Insel. Zweites Siremon-Fragment | ANDERSWOLF

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Die Insel. Zweites Siremon-Fragment

Siremon
November 1, 2011

Ich strandete auf einer Insel, die ihre Form erst später annehmen würde. Die Tage und Nächte blinzelte ich hinfort, jeder Lidschlag ein Jahr, jeder Schlaf ein Jahrtausend. Um mich wogten Gezeiten aus den reinen Elementen, die Kräfte, die ich später Fons Sturm, Perts Beben, Marruhs Brand und Labins Flut nennen würde. Sie rangen miteinander um die Vorherrschaft auf einem Planeten, der sich selbst erschaffen hatte, sie rangen um die Herrschaft über ihre gleichberechtigten Geschwister, vor allem aber kämpften sie gegen sich und verloren.

Die Wesen, die später hier lebten und kämpften und vergingen, sah ich kommen und gehen, ich sah Mächtige und deren Ohnmacht, ich sah Furchtlose und deren Ängste. Sie waren wilde Tiere angesichts derer, die später kommen und wirklich herrschen würden, die sich als Götter verehren ließen und jene bestraften, die nicht den Rücken beugen mochten; jene aber, die ihre Götter in Ehrfurcht betrachteten, vernichtete der Kampf, der folgen musste: Gott gegen Gott, wie schon Labin und Marruh, Pert und Fon gegeneinander gekämpft hatten.

Menschen und Menschenähnliche errichteten auf den einstigen Schlachtfeldern ihre Reiche. Die Kriege der Götter bedeuteten ihnen nicht mehr als Legenden, Sagen, Märchen. Die Götter waren mit den Kriegen, die sie verloren hatten, vergangen, die wenigen Kämpfer, die überlebt hatten, hatten sich zurückgezogen in die Einsamkeit der tiefen Wälder, schroffen Gipfel und stillen Seen. Nur einer, der von seinen einstigen Gegnern mit mächtigen Banden gefesselt lag, und eine, die es verstand, die Wunden und Seelen der Versehrten zu heilen, hatten den Niedergang ihres Zeitalters überlebt. Beide warteten sie mit der Geduld jener, die die Zeit nicht fürchten müssen, auf die letzte Schlacht, die ihre endgültige Niederlage oder den späten Triumph zeitigen würde.

Die Insel, deren Name in mir aufstieg wie die Träume, die mich dorthin trugen, war durch den Kampf der Elemente geformt und durch die Kriege der Götter in drei Teile zerbrochen worden. Das Alte Land nannte ich die östliche Insel, auf der die heilende Göttin und ihre halbgöttlichen Kämpfer sich für den letzten Kampf rüsteten und dem ersten Angriff ihres Gegners doch schutzlos ausgeliefert waren. Das Wilde Land nannte ich die westliche Insel, wo zwei Völker der menschenähnlichen Korian seit Jahrtausenden ihre gemeinsame Vergangenheit mit dem Blut ihrer Toten abzuwaschen versuchten. Das Neue Land schließlich nannte ich die große Insel, die südlich des Wilden Lands und westlich des Alten Lands lag: hier hatten sich die Menschen angesiedelt, nachdem ihre Heimat von magischen Geschöpfen überrannt worden war. Zu ihnen, den Menschen ging ich und nannte ihnen den Namen der Insel, die einst eins gewesen war und in der Sprache der halbgöttlichen Sin Thyar Aémon hieß und bei den Korian Syraemon. Den Menschen sagte ich: Dies ist Siremon, das Leere Land, dies ist Eure Heimat.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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