Das plötzlich aufblendende Licht | ANDERSWOLF

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Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Das plötzlich aufblendende Licht

Von der Front
Januar 20, 2017

Dann das Dunkel. 70 Minuten auf der Bühne, ich war Königin und Sklave, habe geplaudert, gelacht und geweint, süße Lügen und bittere Wahrheiten erzählt. Im Splitter eines Augenblicks bricht eine Nacht herein, und mit dem Licht erlischt mein Geist. Bis eben noch spürte ich Zukunft, sah Sicherheit in meiner Sprache, nun versinkt vor mir jeder Weg in sattem Schwarz. Angst habe ich nach der Premiere. Das erste Mal hat echtes Publikum mein Stück gesehen, ein Stück, das nicht nur meine Handschrift, sondern Spuren meiner Seele trägt. Ich fürchte, dass sich in der Kleinstadt niemand für das Schicksal Homosexueller in einer Diktatur erwärmen kann. All die Granden ergrauter Gesellschaft wollen nicht gefordert werden, sondern ihr Weltbild bestätigt wissen. Sie zu erreichen ist unmöglich, während des Spielens war das so klar wie nie zuvor in den Monaten des Planens, Schreibens, Probens. Zwischendurch, in einer scheinbaren Sekunde des Stillstands habe ich aus der Rolle heraus ins Publikum geblickt, erahnte durch die Augen der Figur Menschen, die mir zusahen beim vergeblichen Ringen um verlorene Fassung. Zu erkennen, ob ich sie erreiche, war mir nicht vergönnt. Nun also Dunkel, 70 Minuten Herzblut vorbei, mein Atem schwer von der Anstrengung, andere Menschen zu tragen. Ich atme ein und ich atme aus, der schleifende Atem in meinen Lungen, der klebrige Schweiß auf der Haut, Staub, der langsam sich setzt. Das Dunkel ist dichter noch als zuvor, dann blinzle ich in das plötzlich aufblendende Licht.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
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