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Gesellschaftsversagen: Die Fehler des Präsidenten

Von der Front
November 18, 2015

In Paris wird gezündelt: François Hollande holt die große Keule raus, will Notstandsermächtigungen durchdrücken und zusätzliche Machtoptionen für Präsident und Staatsschutz. Hollande sieht Frankreich durch die Paris-Singularität im Krieg mit dem IS und begeht dabei mehrere Fehler.

Der erste Fehler: dem französischen Präsidenten mangelt es nicht an Macht, im Gegenteil erlaubt der Semipräsidentalismus auch jetzt schon eine undemokratische Staatsführung. Den mangelhaften Einfluss des Parlaments zusätzlich durch Notverordnungen auszuhebeln, erinnert an das System Brüning der Weimarer Republik, das in Verbindung mit dem Erstarken der Nationalkonservativen mit zur Entstehung des Dritten Reichs beigetragen hat. Angesichts der wachsenden Popularität von Marine Le Pen ist das mehr als nur beunruhigend.

Der zweite Fehler: zu glauben, verschärfte Regelungen zu Strafrecht und Überwachung hätten die Verbrechen von Paris verhindert, ist bestenfalls naiv. Es sollte mittlerweile jedem klar sein, dass die Einschränkung von Freiheitsrechten keinen bedeutsamen Zuwachs an Sicherheit bringt. Im Gegenteil stärkt staatliche Paranoia das Misstrauen der Menschen untereinander und trägt dadurch zum Gesellschaftsversagen bei, was letztlich ein Ziel jeden Terrorismus‘ ist.

Der dritte Fehler: durch die Kriegserklärung erlangt der IS den Stand einer Kriegspartei, es dürfte für die Verbrecherbande ein Ritterschlag sein. Als wäre die mediale Aufmerksamkeit der Vergangenheit für das Netzwerk vereinigter Fundamentalisten nicht schon genug kostenlose PR gewesen.

Der vierte Fehler: wer einen Krieg erklärt, sollte auch bereit sein ihn zu führen und die Opfer zu bringen, die er kosten wird. Vor allem im Bewusstsein, dass die Opfer keine seelenlosen Monster sein werden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut; dass die Opfer auch Zivilisten sein werden, die mehr unter dem IS gelitten haben bislang als die Franzosen; dass unter den Opfern auch Franzosen sein werden.

Der fünfte Fehler: wer einen Krieg erklärt, sollte auch das Ziel und einen Plan haben, ihn zu beenden. Der kopflose „Krieg gegen den Terror“, den George W. Bush 2001 ausgerufen hat, ist nur auf dem Papier beendet, tatsächlich befinden wir uns immer noch mittendrin. Der Irak ist fragmentiert, Syrien faktisch zerstört, Afghanistan und Pakistan von den Taliban destabilisiert. Ein Ende des Kriegs, der Organisationen wie dem IS oder Al-Schabab erst zum Aufstieg verholfen haben, ist nicht in Sicht.

Der sechste Fehler: Feuer bekämpft man nicht mit Feuer; die letzten hundert Jahre des Nahostkonflikts lehren das sehr anschaulich. Gewalt erzeugt selten Frieden, sie erzeugt in der Regel Gegengewalt. Die Kriminellen vom IS bauen genau auf diese Mechanik, eine Kriegserklärung ist genau in ihrem Sinne.

Es bleibt zu hoffen, dass die französischen Volksvertreter weise handeln und entscheiden. In diesen Tagen zeigt sich, ob die Fundamente der Europäischen Union stark genug sind. Wir sind aufgerufen, unsere Werte zu verteidigen, doch es ist Teil dieser Werte, das nicht mit kriegerischen Mitteln zu tun. Wer den Frieden mit Krieg zu verteidigen sucht, zerstört ihn. Auch wenn es banal klingt, es muss offensichtlich so deutlich gesagt werden.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
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