Wodka Martini | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Wodka Martini

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Dezember 1, 2016

Zurück an der Bar bestelle ich: „Noch einen Wodka Martini!“ Beobachte den Barkeeper bei der Arbeit. Da überschwemmen mich Moschus und Salz, modernde Blumen: Ich rieche den Typ, der sich neben mich stellt, bevor er mir, um die Musik zu übertönen, ins Ohr brüllt: „Den kriegst Du nicht!“ Meint den Barkeeper, einen durchtrainierten Burschen, den alle anstarren, während sie auf ihre Getränke warten. „Niemand kriegt den!“ - „Das trifft sich!“, brülle ich zurück. „Ich bin niemand!“ Dass ich ihn noch nicht angesehen habe, scheint den Typ zu motivieren. „Niemand also. Ich bin Jörg.“ Hält mir die Hand hin, ich nehme sie nicht. An Händen bin ich nicht interessiert. An Jörg bin ich nicht interessiert, an allen mehr als an Jörg, der hoffentlich gleich wieder tanzen geht. Von der anderen Seite des Tresens grinst mich ein Kerl an. Sein Shirt spannt über der breiten Brust, ein Nippelpiercing drückt sich durch den petrolfarbenen Stoff. Ich grinse zurück, nicke, als er mit dem Kopf zur Tanzfläche zeigt oder zu den Toiletten, die dahinter sind. „Ich bin gleich wieder da“, sage ich, ohne Jörg anzusehen.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als müsste ich ihn kennen. Greife nach dem Glas, setze es an die Lippen. „Bist Du sicher? Vielleicht habe ich was reingetan.“ Trinke trotzdem, trinke erst recht, trinke gierig, um mir den Geschmack von Sperma aus Mund und Kehle zu spülen. Leere das Glas, stelle es ab. Der Typ beobachtet mich, und jetzt rieche ich ihn: Amber, Flieder, Meer. „Ich bin Jurek!“ brüllt er und hält mir die Hand hin. „Noch einen Wodka Martini!“ rufe ich dem Barkeeper zu. Ich lege Geld auf den Tresen, wende mich dann der Tanzfläche zu. Die Musik greift nach mir, zieht mich zwischen die Menschen. Die Bässe tragen mich zu einem Kerl, der mit seinen hellblauen Shorts aus dem Schwarm der Tänzer heraussticht. Er grinst mich an, ich grinse ihn an, lege meine Hand auf seinen Hintern, ziehe ihn zu mir. Er küsst mich, ich küsse ihn, wir rauben einander den Atem, lösen uns inmitten der Namenlosen auf in Nebel und Schweiß.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als schuldete ich ihm Geld. Ich nicke dem Barkeeper zu, der mir, um die Musik zu übertönen, zubrüllt: „Noch einen Wodka Martini?“ Ich nicke, sehe ihm nach. Der Typ beobachtet mich. „Kennen wir uns?“ Er drängt sich mir auf, sein Geruch nach wildem Tier und Blut erzeugt mir Übelkeit. Ich leere mein Glas, um ihn auszublenden, was nur kurz gelingt. „Jürgen!“ Er hält mir die Hand hin, doch der Barkeeper rettet mich. Ersetzt das leere Glas durch ein volles. Ich grinse ihn an, er grinst mich an. Von der Seite brüllt mir der Typ wieder ins Ohr. „Und Du bist?“ Für einen Moment bin ich versucht, ihm „Niemand!“ zu antworten. Spüre da eine Hand auf meinem Hintern, einen Körper, der sich an mich drückt, sich an mir vorbeidrückt, dann neben mir steht, auf der Seite, die nicht durch Jürgen blockiert wird. Bestellt ein Bier beim Barkeeper, und dreht sich, während er wartet, zu mir um. Ich erwidere seinen Blick. Er küsst mich, ich küsse ihn. Als sein Bier kommt, greift er nach der Flasche und geht. Als ich ihn fast aus den Augen verloren habe, dreht er sich nach mir um. Ohne Zögern folge ich ihm.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als hätte ich ihn geschlagen. Ich greife nach dem Glas, nehme einen Schluck. „Ist was?“ Er schüttelt den Kopf. Wie in Wellen verströmt er den Geruch nach Ozean, unterspült von etwas Herbem, Holzigen. Der Barkeeper nimmt auf der anderen Seite des Tresens Bestellungen auf. Für einen Moment verliere ich mich im Anblick seines Körpers: die muskulösen Beine, von den hellblauen Shorts mehr ausgestellt als verhüllt, die kraftvollen Stränge seines Rückens, umspannt von einem petrolfarbenen Shirt, das auf der Wirbelsäule und unter den Achseln vom Schweiß dunkel verfärbt ist, seine kurzrasierten Haare, seine prachtvollen Schultern, seine starken Arme. Für einen Moment stelle ich mir vor, von ihm umfangen zu werden, seinen Duft einzuatmen. Für einen Moment ist alles still, der Raum außer uns leer. „Den kriegst Du nicht!“ brüllt mir eine Stimme ins Ohr, und die Bässe schwappen wieder über mich hinweg, dass ich mich festhalten muss am Tresen, an meinem Glas. „Den kriegt niemand!“ brüllt der Typ weiter. „Jørn!“ Hält mir die Hand hin, für einen Moment bin ich versucht, mich daran festzuhalten. Stelle dann das Glas ab. Fliehe über die Tanzfläche.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Nur halb voll. Daneben ein Typ, der wahrscheinlich die andere Hälfte intus hat. Ich schiebe beide beiseite und winke dem Barkeeper. „Noch einen Wodka Martini!“ Der Typ hält mir das halbvolle Glas hin, doch ich brülle über die Bässe dem Barkeeper zu: „Noch einen Wodka Martini.“ Er grinst mich an, ich versuche, ihn anzugrinsen. Scheitere. In mir tobt ein Meer, keine Ahnung, wo das jetzt herkommt, die Wellen schlagen im Takt der Musik gegen die Innenseite meiner Haut. Von der anderen Seite des Tresens grinst mich ein Typ an. Aus der Menge der Tanzenden grinst mich ein Typ an. Eine Hand auf meinen Hintern gelegt, seinen an meinen Körper geschmiegt, grinst mich ein Typ an. Neben mir steht Göran, er riecht nach verschwitztem Mann und ein bisschen nach Bier, über das Dröhnen des Ozeans und der Bässe höre ich ihn nicht, aber ich lese von seinen Lippen: „Ist Dir nicht gut?“ Doch, versuche ich zu sagen, doch mein Mund ist von einem anderen verschlossen. Ein Typ küsst mich, ich erwidere seinen Kuss nicht. Eine Hand nimmt meine, zieht meinen Körper über die Tanzfläche zu den Toiletten.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Ich trinke ihn in einem Zug aus, doch der Geschmack von Galle und Salz lässt sich nicht runterspülen. „Noch einen Wodka Martini!“ brülle ich über die Bässe dem Barkeeper zu. Der zeigt mit dem Kopf auf den Typ neben mir, vor dem ein halbleeres und ein volles Glas stehen. Der Typ schiebt mir das volle Glas zu. „Der geht auf mich. Ich bin Joris.“ Streckt mir die Hand hin. Ich schaue den Barkeeper an, der mich angrinst und mit den Schultern zuckt. „Und Du bist?“ - „Niemand.“ - „Das trifft sich. Niemand ist mit mir hier.“ Er grinst mich an, seine blauen Augen leuchten im Halbdunkel. Ich nehme seine Hand, danach nehme ich das Glas. „Keine Sorge. Ich habe nichts reingetan.“ Wir prosten einander zu. Trinken. Als ich das Glas absetze, atme ich seinen Geruch ein: Tabak, Bergamotte, Rost. „Möchtest Du tanzen?“ Ich nehme noch einen Schluck, stelle dann das Glas auf den Tresen und folge ihm auf die Tanzfläche, doch schon nach einem Moment habe ich ihn verloren. Wie ein Seepferdchen im Kelpwald treibe ich zwischen den Menschen, Unbekannten, an denen mich nichts hält.

Zurück an der Bar bestelle ich noch einen Wodka Martini. Der Barkeeper nickt und macht sich an die Arbeit. Ein Typ stellt sich neben mich, verschwitzt vom Tanzen, noch außer Atem, grinst mich an. „Das war gut“, brüllt er mir, um die Musik zu übertönen, ins Ohr. Er legt seine Hand auf meinen Hintern, drückt seinen erhitzten Körper an meinen, färbt mein petrolfarbenes Shirt dunkel, wo er mich berührt. Ich drehe mich ihm zu, ertrinke fast in seinen blauen Augen. Küsse ihn, er küsst mich. Als der Barkeeper mein Glas auf die Theke stellt, greift der Typ danach und trinkt es in einem Zug leer. Küsst mich dann wieder, ich schmecke Feuer auf seiner Zunge. Er reibt seinen Körper an meinem, seine Erektion drückt durch den Stoff seiner hellblauen Shorts gegen meinen Oberschenkel. Mit der Hand, die er nicht auf meinem Hintern hat, massiert er meinen harten Schwanz. Er geht vor mir auf die Knie, öffnet meine Hose, nimmt mich in den Mund, ich atme schwer, schließe die Augen, keuche. Als ich nach seinem Kopf fassen will, ist der Typ fort, meine Hose nicht offen. Ich glaube, ihn im Gewühl der Menschen auf der Tanzfläche zu sehen, haste hinterher.

Zurück an der Bar warte ich auf meinen Wodka Martini. In meinen Ohren rauscht die Brandung des Morgengrauens. Die Bässe sind jetzt verebbt, die Menschen strömen ins Freie, wo sie Nebelwolken in den aufblühenden Tag atmen. Der Barkeeper stellt ein Glas vor mich auf den Tresen. „Der geht auf mich.“ Grinst mich dabei an. Ich nehme das Glas, proste dem Barkeeper zu, trinke einen Schluck, stelle das Glas wieder ab. Alles wie in Zeitlupe, während er mich beobachtet. Keine Gläser spült, keine Flaschen leert. Mich einfach nur beobachtet. Eine Stimme in mir brüllt: „Den kriegst Du nicht! Den kriegt niemand!“ Doch da steht er, seine blauen Augen leuchten. „Du kannst bleiben, bis ich fertig bin.“ Während er aufräumt, Kühlschränke auffüllt, Tresen und Boden wischt, sehe ich ihm zu. Leere mein Glas erst, als er schon neben mir steht. „Georg.“ Er hält mir die Hand hin.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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