Das nicht alltägliche Brot | ANDERSWOLF

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Das nicht alltägliche Brot

Von der Front
Januar 17, 2017

"Ich habe Sie vermisst!" Meine Baguettefrau ist wieder da, und ich bin ernsthaft erleichtert, dass die Zeit des mediokren Brotes endlich ein Ende hat. Vor fast einem Monat habe ich das letzte Baguette bei ihr gekauft, und seither habe ich mich mit Bauschaumbaguette, vollgekörntem Sprossenbrot, alltäglicher Aufbackware und überraschend enttäuschendem Selbstgebackenem über Wasser gehalten. Natürlich ist es ein ausschließliches Problem der in saturierten Gesellschaften lebenden Menschen, dass sie ihr Glück teils von der Verfügbarkeit eines handwerklich gut gemachten Backstücks abhängig machen, während im Nahen Osten immer noch täglich Dutzende Menschen bei Bombardements sterben und auch die Mittelmeerroute allen Toten zum Trotz noch immer befahren wird. Andererseits zieht jede meiner Kaufentscheidungen Folgen nach sich, die im Fall der Baguettefrau heißen: solides Handwerk, nachhaltig angebautes Getreide in demeter-Qualität, ergo fair bezahlte Bauern und schonend bearbeiteter Boden, Artenvielfalt, vor allem aber auch regionale Produktion, was wiederum mein Abendbrot von der Zerstörung unregionaler Märkte durch Überflutung mit subventionierter Massenproduktion abkoppelt. Tatsächlich hat sie mir auch gefehlt, weil mein spätmittäglicher Spaziergang zu ihrem Eckladen auch immer einen kurzweiligen Schwatz über arrogante Kunden, die Anforderungen des Einzelhandels an den Einzelhändler, vor allem aber über die Probleme des ambitionierten Hobbybäckers beinhaltet. Für jemanden, der nicht nur entsetzt ist über die mittelmäßigen Ergebnisse der eingerosteten Backfertigkeiten, sondern vor allem fast den ganzen Tag alleine am Schreibtisch sitzt, ist dieses kurze Gespräch fast so wichtig wie das tägliche Brot. "Schön, dass Sie wieder da sind", sage ich also, und sie erwidert: "Ja, gell?"

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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