Alles außer Ahnung | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Wunderland

Pöm
Oktober 7, 2023

die Sehnsucht dir
vom Kopf auf
die Bretter
die die Welt

der Vorhang
dir auf den Fuß
des Berges
deiner Träume

schrick nicht vor
dem Unsichtbaren
das das Sichtbare
in sich

mit lachendem und
weinendem
dir eine Heimat

Science Fiction Triple Feature

Von der Front
September 26, 2023

Oppenheimer, der Langatmer über den gleichnamigen J. Robert, hat - anders als Barbie - ungefähr vier Frauen im Cast; ungefähr, weil zwei nur Deko sind, die dritte noch vor Mitte des Films gefridget wird und die vierte, immerhin Oppis Frau, nur als Resonanzfläche dient. Selbst patriarchatisierte Barbies verfügen über größeren Spielraum als Oppenheimer-Frauen.

Und während Barbie das Spannungsfeld "Feminismus vs. Patriarchat" aufmacht, muss Mister Man sich erst zwischen der (intellektuellen) Schlampe und der (hausfraulichen) Alkoholikerin entscheiden, bevor er die Atombombe erfinden, wegen seiner Freigeistigkeit von Big Atom ausgebootet, über Bande gerächt und ordensvoll rehabilitiert werden kann.

Öde Ode, gerettet nur durch die Koinzidenz mit Barbie, dem trojanischen Pferd des Sommers, das als Komödie angeritten kommt und existentielle Fragen über Gesellschaft, Gleichberechtigung und Gender stellt. Und rechte Schneeflocken derart anfasst, dass ein Megachurch-Führer mit einer an einen Baseballschläger geklebten Bibel ein Barbie-Haus verkloppt

Kannste dir nicht ausdenken, sowas.

Andererseits ist ja auch evangelikalen Christen Jesus zu woke

Dass Barbie übrigens ein Meisterstück in Queerness und Camp ist, zeigt James Somerton in seinem Video-Essay Deep Pink. Die Psychotherapeutin Georgia Dow wiederum untersucht in ihren Video-Essays zum Film die beschädigten Psychen von Barbie bzw. Ken und geht der Frage nach: Wie viel toxischer Feminismus trägt den Film?

Andererseits sollte man sich vielleicht weniger mit Barbie beschäftigen als viel mehr mit der Frage: Was will moderner Feminismus? Ist denn nicht schon alles gut? Frauen durften ja immerhin schon Kanzler werden. Spoiler: Es gibt noch Arbeit, bevor wir uns zurücklehnen dürfen. Aber das sehen natürlich nur die (Mikro- oder Makro-)Marginalisierten.

Der Dokumentarfilm Feminism WTF scheint grundlegende Antworten auf diese Frage zu finden und ist damit wahrscheinlich sehenswerter als Oppenheimer und Barbie zusammen. Zugegeben: ich habe den Film nicht gesehen, nur eine Kurzbesprechung, habe aber das Gefühl, dass er zumindest die Diskussion substantiell unterfüttern könnte. 

Denn das ist, bei allem Erfolg von Barbie die größte Schwäche: die berechtigten Anliegen des Feminismus geraten dank der notwendigen Camp-Verkleidung unter die Räder einer Markt- und Vermarktungsmaschine, so dass man den Film eben auch nur als langen Werbefilm sehen kann. Aber dann schon lieber Werbung für Puppen als für Atombomben. 

Blende

Pöm
September 17, 2023

Wir glauben uns
Kinder der Sonne
und ihre Strahlen
allein unser Werk:
Zeugnis unserer Größe.

Auf der Fahrt über
unseren Himmel
neigt sich
der lange Tag
haltlos gen Horizont.

Unpasslichkeiten

Von der Front
September 4, 2023

Klamotten aussortiert. Hatte ich seit Jahren vor, jetzt gibt der semi-akute Umzug die nötige Zusatzmotivation. Über ein Dutzend farbverirrte Strickjacken und Pullover, über ein Dutzend geschrumpfte Hosen und über ein Dutzend zermusterte Hemden: macht keine Freude, raus damit. Der Kleiderschrank sieht dennoch kaum leerer aus, erst jetzt fällt auf, wie arg die untragbare Mode in den Schrank gequetscht war. 

Nun bin ich ja kein Fast-Fashion-Typ, der sich dauernd neue Sachen kauft. Das Ausgemusterte lag seit Jahren, teils Jahrzehnten ungetragen im Schrank und wurde dabei weder weiter noch hipper. Die Klamotten und ich - wir haben uns mit der Zeit einfach so weit von einander entfernt, dass wir einander nicht mehr passten. Sich zu trennen, war also die einzig richtige Lösung. 

Manchmal weiß man sowas: dass eine Entscheidung getroffen werden muss, die vielleicht lästig ist, die vielleicht aufwendig ist, die vielleicht mit der Anerkennung einer schmerzhaften Wahrheit zu tun hat (und sei es nur, dass ich einfach keine beigefarbenen Rippenstrickjacken aus Polyacryl in Größe S mehr tragen kann/will/sollte); und man schiebt sie trotzdem vor sich her. Hilft alles nix: Macht es keine Freude mehr, muss man loslassen. 

Leider passiert das nicht nur bei Kleidung, manchmal trifft es die Essenz eines Lebens. Wie oft beispielsweise habe ich mir schon vorgenommen, das Geschreibsel sein zu lassen; diesen Traum von lukrativer Wortarbeit aufzugeben. Ist ja nicht so, als wäre ich täglich dabei oder hätte außerhalb meines Blogs oder von Wettbewerben großartig was veröffentlicht. 

Ich kann aber trotz aller Hiatus - irritierenderweise lautet der Plural von /hiˈaːtus/ wohl /hiˈaːtuːs/ - dann immer wieder doch das Bedürfnis zu schreiben, und sei es "nur" ein Blogeintrag. In einer der letzten Bewerbungen habe ich die für mich immer wieder neue Entdeckung ins Anschreiben eingepasst (wenngleich anders formuliert), dass mich Schreiben ordnet und erdet und mir eine Welt erklärt, die mir sonst unpassend scheint.

Tatsächlich ist die Erkenntnis weder neu noch allein meine, spätestens seit ich Julia Camerons Ansatz der Morgenseiten für mich entdeckt habe (und es mir damit deutlich besser ging als vorher oder nachher), weiß ich, dass ich nicht der Entdecker dieser These bin. Andererseits habe ich irgendwo einen Zettel, auf dem ich als 13jähriger schon festgehalten habe, dass ich mich schreibend besser (oder zumindest weniger verwirrend) ausdrücken kann als mündlich. 

Und dann wieder gibt es Momente, da versage ich sogar schriftlich. Bei den Schriftstellern beispielsweise verheddere ich mich statt in Textarbeit immer wieder in Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen. Da versuche ich eine Lanze für progressive Empathie zu brechen, interpretiert wird es mir aber als überhöhter Schwachsinn. 

Wobei mir tatsächlich unklar ist, ob sich meine Argumentation so verheddert hat, dass ich meinen Punkt nicht verdeutlichen kann, oder ob sie schlicht falsch ist, zu radikal oder nicht informiert genug. Oder ob ich doch recht haben sollte, das Publikum aber mit meinen Worten nicht erreiche. Ich erlebe nur, dass meine Perspektive nicht zu der der anderen passt. 

Dabei wollte ich bei den Schriftstellern ja gar nicht über Weltanschauungen diskutieren, sondern über Texte. Irgendwie kann ich das aber nicht. Denn entweder will ich so gründlich sein, dass meine "Analyse" eines 250-Zeichen-Textes dreimal so lang ausfällt, oder aber ich habe zu einem Text nichts zu sagen außer "Gefällt (nicht)." Und das hilft ja nun auch niemandem weiter. 

Einzig bei Wettbewerben bin ich nie auf die Tastatur gefallen, da haue ich Kritik um Kritik raus ohne Rücksicht auf Verluste (und schäme mich hinterher für die Harschigkeit); vielleicht liegt es an der zeitlichen Enge, vielleicht an der relativen Vergleichbarkeit von Texten, die der selben Prämisse folgen (sollten). Vielleicht liegt es am überschaubaren Commitment. Da jedenfalls bin ich nicht schreibfaul, nicht übergründlich, ich sortiere impulsiv aus, was mir nicht passt.  

Jetzt - scheint es - habe ich mich selbst aussortiert. Bei einer Diskussion über den Barbie-Film, das Patriarchat und den Feminismus bin ich auf einer Inselmeinung gestrandet, zu der mir andere nicht folgen konnten. Oder - und das will ich niemandem unterstellen, nur um mich selbst nicht hinterfragen zu müssen - nicht folgen wollten. Denn ich weiß, dass ich falsch liegen kann; ich weiß nur nicht, ob das der Fall ist, wenn die Gegenseite einfach ausfällt. 

Andererseits: ich gehöre ja auch nicht zu den Schriftstellern, bin nicht einer von ihnen, bin nur Gast, der irgendwie immer in den Orkus von Diskussionen gerät, die mich in eine radikale Wokeness-Ecke spülen, in die ich mich selbst nicht einsortieren würde. Und wie bei den Wettbewerben, wo in der Regel meine Einschätzung zu Texten weit von der Rezipienz anderer abweicht, mache ich mich so aus Versehen und gegen meinen Willen zum Außenseiter. 

Wahrscheinlich klingt das nach Selbstmitleid oder Verbitterung. Klar, ich bin traurig, aber nicht enttäuscht. Irritiert vielleicht, wie bei den Hemden, die sich in der hintersten Ecke des Kleiderschranks versteckt hielten. Da fragt man sich auch, wieso man je gedacht hat, dass das hätte passen können. Hätte doch offensichtlich sein müssen, dass manche Farben und Muster nicht harmonieren; von falschen Größen mal ganz abgesehen. 

Da hilft dann nichts anderes als sich zu fragen: "Macht das noch Freude? Oder kann das weg?" Was ja nicht heißt, dass alles damit Zusammenhängende falsch gewesen wären - im Gegenteil: Wer oder was uns begleitet, entspricht Phasen unseres Lebens. Und irgendwann entwachsen wir diesen Phasen, diesen Kleidungsstücken, diesen Menschen. Und dann ist es wahrscheinlich besser, sich kurz und schmerzhaft zu trennen. Weil es eben nicht mehr passt. 

Die Kleiderkammer übrigens hat alles angenommen - leider ist aber auch da das Gespräch eskaliert (liegt also wohl doch an mir). Die Damen dort waren ungehalten über Tütenverbote, das Bürgergeld, den "Heizungshammer", kinderreiche Familien und die angeblichen 83 %, die sich von den restlichen 17 % durchfüttern ließen. Als sie dann noch sagten, dass man ja bald kaum mehr wisse, ob einem das eigene Land überhaupt noch gehöre, war ich schon out of Widerspruch.

Ich hatte nur meinen Kleiderschrank ausmisten, nicht reaktionäre Motten jagen wollen; noch dazu in einer Einrichtung, die gebrauchte Kleidung zu niedrigen Preisen an Menschen im Prekariat ausgibt. Ich hatte dort Menschen mit Gemeinschaftssinn erwartet, keine fremdenfeindliche Silberrückenbrigade. Andererseits bin ich ja gerne naiv. Nur weil jemand aussieht wie eine nette Omi, heißt das nicht, dass sie einem nicht den Rollator in die Hacke dengelt.

Die Klamotten habe ich trotzdem dagelassen. Ist ja nicht die Schuld der Bedürftigen, dass sie bedürftig sind - auch wenn sowohl die Silberrücken als auch die Schriftsteller da sicherlich anderer Meinung sind. Ich werde sie nicht überzeugen; Menschen - eine weitere Erkenntnis, die ich leider immer wieder vergesse - können sich nur selbst überzeugen. Gegen eingefahrene Meinungen kommt man von außen einfach nicht an. 

Und dann hilft einfach nur: loslassen. Sei es das Ego; sei es das einst heißgeliebte Hemd mit den Palmwedeln drauf, von dem man dachte, es lasse einen lässig erscheinen (außerdem war der Stoff sehr weich), dabei war es einfach nur grau; sei es eine verwirrende Institution, zu der man ohnehin nie einen richtigen Draht gefunden hatte. Was nicht passt, kann selten passend gemacht werden. Manchmal kann die Frage "Wird es jemals wieder Freude machen?" nur verneint werden.

Gleichzeitig kann man nie etwas wirklich wissen. Feststellungen sind Momentaufnahmen aktuellen Kenntnisstandes, selten Absoluta. Wir können ja in uns selbst schon nur begrenzt hineinsehen, wie sollen wir da Mitmenschen oder die Welt verstehen? Alle Zuschreibungen sind gefärbt von Meinungen, Erwartungen, Umständen. Wir treffen auf Basis der Vergangenheit Annahmen über die Gegenwart, ohne zu wissen, ob sie auch in Zukunft passen.

Manchmal liegen wir richtig damit, manchmal nicht. Aber jetzt sortiere ich erstmal aus.   

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.

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