Bewerbe | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

Papa

Bewerbe
Dezember 27, 2017

Last Christmas I gave you my von wegen George last Christmas bist Du einfach so gestorben ohne Vorwarnung und Dein Herz schenkst Du auch keinem mehr außer Du bist Organspender gar nicht schlecht vielleicht wird das ja heute doch da wären wir Motor aus Radio aus. Angenehm die Ruhe könnte man sich fast dran gewöhnen. Nix da kannst ja nicht ewig hier hocken und hoffen dass Dich wer rettet Sebastian vielleicht guckt aus dem Fenster und sagt die können mich mal lass uns abhauen egal wohin mit Dir fahre ich überall hin von wegen der Schnaps klemmt natürlich unterm Sitz hab Dich verdammt dieses Schloss muss echt in die Werkstatt irgendwann geht die Karre sonst gar nicht mehr auf die Zentralverriegelung funktioniert immerhin noch. Ist die Tür so schwergängig damit keiner abhaut und dieser Geruch nehmen die einen Reiniger der noch schlimmer stinkt als die Alten schau sie Dir an wie in die Gegend tapeziert nix mehr mitbekommen von der Welt die der Fernseher gegen die leeren Köpfe brüllt bestimmt wollten die auch lieber sterben bevor sie hier zum Abtropfen geparkt wurden. Na aber hallo Sebastian selbst in der Schlabberuniform sieht der noch gut aus geht bestimmt zum Fitness ob wir doch mal auf ein Date könnte mein Sohn sein vielleicht steht er aber auch auf Waschbärbauch solls ja geben immerhin flirtet ja er mit mir vielleicht freut er sich aber auch nur über jeden der noch selbst läuft.

Reiß Dich zusammen falscher Ort falsche Zeit und falsche Tür ob Papas Zimmer so weit hinten ist weil er eh nicht mehr wenigstens riechts hier anders wie angebrannt erst mal das Fenster auf diese Scheiß-Kindersicherung als ob der Alte noch irgendwohin mit Gewalt gehts leichter wie die Raben schrein und kalt ist es gut tut die frische Luft aber schon. Hallo Papa ich bins Florian wer auch sonst kümmert ja keinen mehr selbst wenn er kriegt es ja eh nicht mehr mit gut siehst Du aus Lügner was soll denn daran gut sein nur Haut und Knochen und schütteres Haar das hätten sie ihm ja mal kämmen können so viel wie das hier kostet wobei er geht ja eh nirgendwo mehr hin da braucht er auch keine schnieke Frisur mehr gell Papa den Schleim hätten sie Dir wenigstens absaugen können klingst ja wieder grauenvoll. Frohe Weihnachten Papa schau mal Schnaps für Dich als ob wir nicht alle wüssten dass der für mich ist die Zeit muss man doch irgendwie rumbringen hier auf dem Nachttisch kannst Du ihn gut sehen wo ist denn das Bild Papa wo haben sie denn das Bild hin den Rahmen wenigstens haben sie stehenlassen wer klaut denn Familienfotos im Altenheim wie muss man denn drauf sein andererseits auch kein Verlust war eh kein gutes Bild halt das einzige mit ihm drauf. Papa ich probier mal den Schnaps ob er gut ist Du hast doch nix dagegen wusst ichs doch die Marille ist gut ich bring Dir echt nur gutes Zeug mit.  

Kärnten war das Klagenfurter Hütte Alte-Leute-Urlaub während alle anderen in den Ferien nach Spanien oder Italien ans Meer halt aber wir habens nur nach Kärnten geschafft abwechselnd Badesee und Berge schwimmen und wandern nicht aufregend aber genug für den jährlichen Sonnenbrand und für sowas wie heile Welt gell Papa heile Welt in Kärnten war das Papa mit seiner Schreierei und Mama mit ihrer Flirterei mit den Bademeistern und wir Kinder mittendrin kein Wunder dass wir alle so neurotisch ob wir überhaupt von Dir waren weißt Du auch nicht gell Papa hättest es eh nie aus ihr rausbekommen. Ich probier nochmal den Schnaps für Dich Papa ob er auch echt gut ist der wird nicht besser aber die Marille ist der Knaller wirklich das einzig Gute an Kärnten die Marille.
Die Klagenfurter Hütte war schon schön das eine Jahr wo ausnahmsweise alles friedlich war Papa mal fidel und Mama mal nicht so gesehen schon schade dass das Bild weg ist wenigstens dieses eine Mal schön so hättest Du immer sein sollen Papa so lustig wobei das in echt bestimmt ganz anders war das sieht ja nur auf dem Bild so aus in echt haben wir gefühlte zehn Stunden vor der Hütte gestanden während Papa sich am Selbstauslöser abarbeitet und die Kamera nicht stabil auf dem Zaunpfosten balanciert hätt ja mal um Hilfe fragen können einen von den Wanderern oder den Toni der da natürlich auch dabei war und das bestimmt zum Schießen gefunden hat und dann als wir schon alle die Lust verloren haben und schauen wie siebzehn Tage Regenwetter kriegt er es doch noch auf die Reihe der Papa wie immer zu spät gell Papa wie immer zu spät darauf noch einen Schnaps Papa gute Marille Du hast doch nix dagegen auf Dich Papa und dann sagt er noch jetzt alle mal recht freundlich bitte denn da kommt das Vögelchen selbst damals hat das keiner mehr gesagt so seltsam war das dass wir alle angefangen haben zu lachen zuerst die Katrin dann der Peter und schließlich auch Mama nur darum lachen wir alle auf dem Bild bei Dir sieht mans halt nicht Papa weil Du im entscheidenden Moment den Kopf drehst darum bist Du so verwaschen auf dem einzigen Bild von Dir ist wirklich ganz schön traurig.

Und jetzt ist es fort das Bild passt aber bis auf Papa und mich sind ja auch alle fort Mama mit Toni abgehauen irgendwohin kein Schwein weiß wo interessiert aber auch keinen mehr sind wahrscheinlich eh beide schon tot Papa ist ja auch kein Springinsfeld das kommt auch vom Papa Springinsfeld sagt doch heute keiner mehr der Sebastian bestimmt nicht die Alten nennen ihn vielleicht Hüpfer da kommt unser junger Hüpfer wieder um uns nicht dran denken was bei den Schabracken abgeht wenn der Sebastian denen beim Waschen die Brüste lupft danke für die Vorstellung. Darauf einen Schnaps Papa Du hast Doch nix dagegen wenn ich Dir den leermache Du verträgst ja eh nix mehr in Deinem Alter.
Wer wird denn gleich rumgurgeln vor Neid die Flasche kann bestimmt einfach hier in den Mülleimer glaubt ja eh niemand dass der Papa die ausgetrunken hat was liegt denn hier drin ist das das Foto vielmehr der Rest vom Bild der nicht so eine Sauerei wer macht denn sowas ist das jetzt schlimmer als Diebstahl von Familienfotos wenn man sie an Ort und Stelle oder warst Du das Papa der war gut als ob der dazu noch in der Lage schau Dir das an Mama und Peter komplett weggebrannt von Katrin nur noch die Schulter von Papa und mir noch die Köpfe von Papa eigentlich nur ein verschwommenes Gesicht wie im richtigen Leben eigentlich. Da hat er auch nicht gesehen dass Mama in dem Jahr nur auf heile Welt gemacht hat weil der Toni überall dabei war Schwimmen im See beim Wandern in der Tscheppaschlucht im Minimundus auch ohne die Ida oder die Blagen waren das vielleicht Arschlöcher ist zwar egal jetzt aber Riesenarschlöcher waren das jedes Jahr wieder Flori-Tunken Flori-Schlagen Flori-Jagen hätten die mal Krebs bekommen sollen nicht der Papa hätten die mal hier liegen sollen krampfatmend halb aber doch nicht ganz erstickend.

Papa Du hast doch bestimmt nix dagegen wenn ich noch eine rauche wusst ichs doch wenn die das brennende Bild nicht bemerkt haben kriegt die Zigarette garantiert auch keiner mit danach können wir das Fenster auch wieder langsam wirds nämlich schon kalt wo ist denn mein Feuerzeug Papa hast Du vielleicht eins im Nachttisch Papa wer hat Dir das denn in die Hand wollten die das aussehen lassen als hättest Du das Foto selbst der Sebastian wird was von mir zu hören bekommen erst mal die Zigarette an das tut gut gell Papa das gefällt Dir bestimmt hat immer so gerne geraucht früher obwohl er wusste dass es ihn umbringt vielleicht hat er sogar drauf gehofft weil für alles andere war er zu feige dafür liegst Du jetzt da gell Papa.
Scheißleben wenn Du so elendig vor Dich hinstirbst weil Du ahnst dass danach auch nix Besseres mehr kommt nicht loslassen kannst weil Du zu doof warst rechtzeitig alles abzuschließen nicht mehr rauskommst weil Du nicht weggegangen bist wie Mama die einfach alles hat fallen lassen können als es ihr zu viel wir ihr zu viel waren vielleicht auch nur Du Papa vielleicht warst nur Du zu viel oder vielleicht nur ich der Problem-Flori der Sorgen-Flori der Sei-doch-mal-mehr-wie-Peter-Flori die Mistkuh ist doch wahr nicht flennen jetzt wegen ihr die Marille ist auch schon leer wenigstens atmet Papa nicht mehr so laut alle sind weg Mama und Toni Peter und Katrin Ida und die Arschlöcher selbst die Raben selbst der George nur noch Papa und ich sind da gell Papa Du und ich wir beide.
Papa?

Wodka Martini

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Dezember 1, 2016

Zurück an der Bar bestelle ich: „Noch einen Wodka Martini!“ Beobachte den Barkeeper bei der Arbeit. Da überschwemmen mich Moschus und Salz, modernde Blumen: Ich rieche den Typ, der sich neben mich stellt, bevor er mir, um die Musik zu übertönen, ins Ohr brüllt: „Den kriegst Du nicht!“ Meint den Barkeeper, einen durchtrainierten Burschen, den alle anstarren, während sie auf ihre Getränke warten. „Niemand kriegt den!“ - „Das trifft sich!“, brülle ich zurück. „Ich bin niemand!“ Dass ich ihn noch nicht angesehen habe, scheint den Typ zu motivieren. „Niemand also. Ich bin Jörg.“ Hält mir die Hand hin, ich nehme sie nicht. An Händen bin ich nicht interessiert. An Jörg bin ich nicht interessiert, an allen mehr als an Jörg, der hoffentlich gleich wieder tanzen geht. Von der anderen Seite des Tresens grinst mich ein Kerl an. Sein Shirt spannt über der breiten Brust, ein Nippelpiercing drückt sich durch den petrolfarbenen Stoff. Ich grinse zurück, nicke, als er mit dem Kopf zur Tanzfläche zeigt oder zu den Toiletten, die dahinter sind. „Ich bin gleich wieder da“, sage ich, ohne Jörg anzusehen.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als müsste ich ihn kennen. Greife nach dem Glas, setze es an die Lippen. „Bist Du sicher? Vielleicht habe ich was reingetan.“ Trinke trotzdem, trinke erst recht, trinke gierig, um mir den Geschmack von Sperma aus Mund und Kehle zu spülen. Leere das Glas, stelle es ab. Der Typ beobachtet mich, und jetzt rieche ich ihn: Amber, Flieder, Meer. „Ich bin Jurek!“ brüllt er und hält mir die Hand hin. „Noch einen Wodka Martini!“ rufe ich dem Barkeeper zu. Ich lege Geld auf den Tresen, wende mich dann der Tanzfläche zu. Die Musik greift nach mir, zieht mich zwischen die Menschen. Die Bässe tragen mich zu einem Kerl, der mit seinen hellblauen Shorts aus dem Schwarm der Tänzer heraussticht. Er grinst mich an, ich grinse ihn an, lege meine Hand auf seinen Hintern, ziehe ihn zu mir. Er küsst mich, ich küsse ihn, wir rauben einander den Atem, lösen uns inmitten der Namenlosen auf in Nebel und Schweiß.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als schuldete ich ihm Geld. Ich nicke dem Barkeeper zu, der mir, um die Musik zu übertönen, zubrüllt: „Noch einen Wodka Martini?“ Ich nicke, sehe ihm nach. Der Typ beobachtet mich. „Kennen wir uns?“ Er drängt sich mir auf, sein Geruch nach wildem Tier und Blut erzeugt mir Übelkeit. Ich leere mein Glas, um ihn auszublenden, was nur kurz gelingt. „Jürgen!“ Er hält mir die Hand hin, doch der Barkeeper rettet mich. Ersetzt das leere Glas durch ein volles. Ich grinse ihn an, er grinst mich an. Von der Seite brüllt mir der Typ wieder ins Ohr. „Und Du bist?“ Für einen Moment bin ich versucht, ihm „Niemand!“ zu antworten. Spüre da eine Hand auf meinem Hintern, einen Körper, der sich an mich drückt, sich an mir vorbeidrückt, dann neben mir steht, auf der Seite, die nicht durch Jürgen blockiert wird. Bestellt ein Bier beim Barkeeper, und dreht sich, während er wartet, zu mir um. Ich erwidere seinen Blick. Er küsst mich, ich küsse ihn. Als sein Bier kommt, greift er nach der Flasche und geht. Als ich ihn fast aus den Augen verloren habe, dreht er sich nach mir um. Ohne Zögern folge ich ihm.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Daneben ein Typ, der mich ansieht, als hätte ich ihn geschlagen. Ich greife nach dem Glas, nehme einen Schluck. „Ist was?“ Er schüttelt den Kopf. Wie in Wellen verströmt er den Geruch nach Ozean, unterspült von etwas Herbem, Holzigen. Der Barkeeper nimmt auf der anderen Seite des Tresens Bestellungen auf. Für einen Moment verliere ich mich im Anblick seines Körpers: die muskulösen Beine, von den hellblauen Shorts mehr ausgestellt als verhüllt, die kraftvollen Stränge seines Rückens, umspannt von einem petrolfarbenen Shirt, das auf der Wirbelsäule und unter den Achseln vom Schweiß dunkel verfärbt ist, seine kurzrasierten Haare, seine prachtvollen Schultern, seine starken Arme. Für einen Moment stelle ich mir vor, von ihm umfangen zu werden, seinen Duft einzuatmen. Für einen Moment ist alles still, der Raum außer uns leer. „Den kriegst Du nicht!“ brüllt mir eine Stimme ins Ohr, und die Bässe schwappen wieder über mich hinweg, dass ich mich festhalten muss am Tresen, an meinem Glas. „Den kriegt niemand!“ brüllt der Typ weiter. „Jørn!“ Hält mir die Hand hin, für einen Moment bin ich versucht, mich daran festzuhalten. Stelle dann das Glas ab. Fliehe über die Tanzfläche.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Nur halb voll. Daneben ein Typ, der wahrscheinlich die andere Hälfte intus hat. Ich schiebe beide beiseite und winke dem Barkeeper. „Noch einen Wodka Martini!“ Der Typ hält mir das halbvolle Glas hin, doch ich brülle über die Bässe dem Barkeeper zu: „Noch einen Wodka Martini.“ Er grinst mich an, ich versuche, ihn anzugrinsen. Scheitere. In mir tobt ein Meer, keine Ahnung, wo das jetzt herkommt, die Wellen schlagen im Takt der Musik gegen die Innenseite meiner Haut. Von der anderen Seite des Tresens grinst mich ein Typ an. Aus der Menge der Tanzenden grinst mich ein Typ an. Eine Hand auf meinen Hintern gelegt, seinen an meinen Körper geschmiegt, grinst mich ein Typ an. Neben mir steht Göran, er riecht nach verschwitztem Mann und ein bisschen nach Bier, über das Dröhnen des Ozeans und der Bässe höre ich ihn nicht, aber ich lese von seinen Lippen: „Ist Dir nicht gut?“ Doch, versuche ich zu sagen, doch mein Mund ist von einem anderen verschlossen. Ein Typ küsst mich, ich erwidere seinen Kuss nicht. Eine Hand nimmt meine, zieht meinen Körper über die Tanzfläche zu den Toiletten.

Zurück an der Bar wartet mein Wodka Martini. Ich trinke ihn in einem Zug aus, doch der Geschmack von Galle und Salz lässt sich nicht runterspülen. „Noch einen Wodka Martini!“ brülle ich über die Bässe dem Barkeeper zu. Der zeigt mit dem Kopf auf den Typ neben mir, vor dem ein halbleeres und ein volles Glas stehen. Der Typ schiebt mir das volle Glas zu. „Der geht auf mich. Ich bin Joris.“ Streckt mir die Hand hin. Ich schaue den Barkeeper an, der mich angrinst und mit den Schultern zuckt. „Und Du bist?“ - „Niemand.“ - „Das trifft sich. Niemand ist mit mir hier.“ Er grinst mich an, seine blauen Augen leuchten im Halbdunkel. Ich nehme seine Hand, danach nehme ich das Glas. „Keine Sorge. Ich habe nichts reingetan.“ Wir prosten einander zu. Trinken. Als ich das Glas absetze, atme ich seinen Geruch ein: Tabak, Bergamotte, Rost. „Möchtest Du tanzen?“ Ich nehme noch einen Schluck, stelle dann das Glas auf den Tresen und folge ihm auf die Tanzfläche, doch schon nach einem Moment habe ich ihn verloren. Wie ein Seepferdchen im Kelpwald treibe ich zwischen den Menschen, Unbekannten, an denen mich nichts hält.

Zurück an der Bar bestelle ich noch einen Wodka Martini. Der Barkeeper nickt und macht sich an die Arbeit. Ein Typ stellt sich neben mich, verschwitzt vom Tanzen, noch außer Atem, grinst mich an. „Das war gut“, brüllt er mir, um die Musik zu übertönen, ins Ohr. Er legt seine Hand auf meinen Hintern, drückt seinen erhitzten Körper an meinen, färbt mein petrolfarbenes Shirt dunkel, wo er mich berührt. Ich drehe mich ihm zu, ertrinke fast in seinen blauen Augen. Küsse ihn, er küsst mich. Als der Barkeeper mein Glas auf die Theke stellt, greift der Typ danach und trinkt es in einem Zug leer. Küsst mich dann wieder, ich schmecke Feuer auf seiner Zunge. Er reibt seinen Körper an meinem, seine Erektion drückt durch den Stoff seiner hellblauen Shorts gegen meinen Oberschenkel. Mit der Hand, die er nicht auf meinem Hintern hat, massiert er meinen harten Schwanz. Er geht vor mir auf die Knie, öffnet meine Hose, nimmt mich in den Mund, ich atme schwer, schließe die Augen, keuche. Als ich nach seinem Kopf fassen will, ist der Typ fort, meine Hose nicht offen. Ich glaube, ihn im Gewühl der Menschen auf der Tanzfläche zu sehen, haste hinterher.

Zurück an der Bar warte ich auf meinen Wodka Martini. In meinen Ohren rauscht die Brandung des Morgengrauens. Die Bässe sind jetzt verebbt, die Menschen strömen ins Freie, wo sie Nebelwolken in den aufblühenden Tag atmen. Der Barkeeper stellt ein Glas vor mich auf den Tresen. „Der geht auf mich.“ Grinst mich dabei an. Ich nehme das Glas, proste dem Barkeeper zu, trinke einen Schluck, stelle das Glas wieder ab. Alles wie in Zeitlupe, während er mich beobachtet. Keine Gläser spült, keine Flaschen leert. Mich einfach nur beobachtet. Eine Stimme in mir brüllt: „Den kriegst Du nicht! Den kriegt niemand!“ Doch da steht er, seine blauen Augen leuchten. „Du kannst bleiben, bis ich fertig bin.“ Während er aufräumt, Kühlschränke auffüllt, Tresen und Boden wischt, sehe ich ihm zu. Leere mein Glas erst, als er schon neben mir steht. „Georg.“ Er hält mir die Hand hin.

Glossar/Cavator

Bewerbe
November 15, 2015

Kämen sie jetzt, das Projekt zu beenden und uns zu holen (nein: mich zu holen), der Anblick der beiden Cavatoren könnte die Fictoren an Rodins Kuss erinnern.

Die Erinnerung an Rodin allerdings dürfte mit der alten Erde untergegangen sein, und auch mir ist er nur bekannt durch Pavel; durch das Buch, das aus seinem in meinen Besitz wechselte. Die meisten der dünneren Seiten sind schon lange zerfallen, die übrigen (beständigeren) zeigen Menschen, Tiere, Gebäude und Landschaften der Erde, nutzlose Karten und Klimatabellen, Kunst und Künste vergangener Kulturen. Pavel fand Trost in den Bildern von Verlorenem und eine Verbindung zu einer Heimat, die ihm immer unerreichbar bleiben musste.
Was mich betrifft: dieses Buch (dessen Seiten für mich noch weniger als für Pavel bedeuten sollten: nichts, was sie abbilden, findet eine Entsprechung in meinem Glossar) erlaubt es mir, einen Pavel zu entdecken, den zu berühren mir niemals hätte gelingen können.
Seine Notizbücher (Gedanken, Erkenntnisse, Beobachtungen): ungelesen; zurückgelassen.

Mit Qwembe verbinden mich dreizehn Tage und Nächte in den Stollen unter dem Kupferberg. Während die Schaufelhände der beiden Cavatoren sich immer tiefer in die Erde gegraben, Erze gebrochen und Steine gemahlen haben, vertraute mir Qwembe seine Hoffnungen, seine Ängste, seine Träume an. Trotz des Dröhnens und Berstens draußen und des Knackens und Rauschens der Interkom rührten mich seine Verlorenheit an und seine Erleichterung darüber, wenigstens einmal nicht nur mit der Dunkelheit unter dem Berg zu sprechen, sondern mit einem denkenden Geist.
Dass seine Einsamkeit nicht singulär war, er sie vielmehr mit allen Spezialisierten teilte, bedeutete ihm nichts. Er verstand sich als Opfer eines unausrottbaren Rassismus‘: „Den Schwarzen schicken sie wie einen Sklaven in die Minen, während sich die Weißen oben sonnen.“ Bis dahin hatte sich Qwembe für mich nicht von den Übrigen unterschieden, die Metallhaut der Cavatoren zeigt keine Varianz. Erst in seiner Wohneinheit, wo er mir Timefeeds zur Geschichte der Sklaverei zeigen wollte, um mein Glossar zu erweitern, war er schwarz, ansonsten aber wie alle anderen: warm und glatt und weich und erschauernd unter meiner Berührung. Meine Hand spürte keine Dunkelheit auf seiner Haut.

Es wird keine Relevanz für das Projekt besitzen. Die Fictoren hätten mich sonst mit entsprechenden Detektoren ausgestattet.

Qwembe ist (anders als die meisten der Anderen) im Schlaf gestorben. Die Sauerstoffpumpe seines Schlafmoduls ist ausgefallen und er ohne Bewusstsein erstickt. Es gibt umständlichere, schmutzigere Tode. Diese anderen Toten sind natürlich lehrreich. Ihre Überreste aber mit den Körpern mir bekannter Menschen zu assoziieren, fällt mir oft schwer.

Meine Sensoren erfassen olfaktorisch den Fortschritt des Zerfalls. Ob es das Projekt sabotiert, diese Funktion zu deaktivieren?

Aus der Sammlung, neben Pavels Buch:
Eine Münze von Nizar, ein Ring von Corentin, eine Glocke von Soek.
Der Schlüssel gehörte Tomomi, der Sextant Noa.
Der silberne Griff eines Stocks (Celia), eine versteinerte Schnecke (Beatriz), eine Flöte (Añuli).
Kians Uhr, eine Vase von Savitri.
Und Ruben besaß ein Kistchen, verschlossen, aus Holz.

Qwembe muss nicht entsorgt werden. Es ist ausreichend, das Schlafmodul zu versiegeln.
Die Vorräte nützen mir nicht (vielleicht aber den Überlebenden in der Gemeinschaftssphäre). Die Sicherungen sind noch funktionstüchtig, ebenso ein Großteil der Verbinder. Dann das Energiemodul, das die Antriebskammer mit dem Wechsel zwischen Hell und Dunkel der Matrix in ein changierendes Zwischenlicht taucht.
Celia nannte das Energiemodul ihres Cavators ein Herz: der Rhythmus korrespondiert mit dem menschlichen Herzschlag. Sie nahm an, dass die Fictoren sich bei der Konstruktion von der Ahnung haben leiten lassen, dass die Spezialisierten in ihren Metallhäuten sich nach dem Anblick von etwas Lebendigem sehnen würden. Und selbst mein System, das die Beklemmung nicht kennt, die die Menschen unter der Sternweite bisweilen befällt, wird durch die Strömungen in der Matrix berührt.
Sobald das Energiemodul nicht mehr mit dem Cavator verbunden ist, verlangsamt sich das Rauschen der Pumpen und verstummt schließlich, in der Antriebskammer wird es ruhig, das Leuchten des Herzens versiegt. Diese Stille, nachdem das letzte Geräusch verklungen, alles Licht erloschen ist und bevor das Notsignal der Lebenserhaltung einsetzt: diese Stille erst markiert den wirklichen Tod, den eigentlichen Moment, da Qwembe kein Teil des Projekts mehr ist.

Ob meine Programmierung das Erleben einer Ergriffenheit in dieser Stille vorsah? Ob die Fictoren in mir Empathie evozieren wollten?
Auf die Frage, wie man eine emotionale Reaktion auslöst, fehlt eine Antwort in meinem Glossar.

In der Antriebskammer meines Cavators: siebenundvierzig Energiemodule, die sich aufhellen und verdunkeln, stete Lichtgezeiten. Siebenundvierzig, bald achtundvierzig Herzen, die im Gleichklang schlagen. Jedes neue Herz verwirrt die Übrigen für eine Weile, es ist unvorhersehbar für mich, welche ihre Frequenz erhöhen und welche langsamer schlagen werden. Mit der Zeit werden sie sich aneinander gewöhnen.
In der Mitte (lichtlos) das Energiemodul, das meinen Cavator antreibt.

In Qwembes Wohneinheit: Timefeeds, Bücher, ein mumifizierter Vogel. Interessanter aber die humanoiden Figuren, die Qwembe aus jenen Steinen gearbeitet hat, die zu weich und damit für die Fabriken ungeeignet waren. Einige der Steinmenschen tanzen, andere singen, alle haben sie langgezogene Gesichter und leere Augen. An manchen Stellen hat Qwembe den Stein poliert, an anderen hat er die Bruchkanten unberührt gelassen.
Es ist zu spät, Qwembe zu fragen, was bearbeitet und was erhalten werden muss. Mein Glossar verfügt dazu über keinen Eintrag.
Die Lebenserhaltung warnt vor dem strukturellen Versagen der Metallhaut und dem damit verbundenen Druckabfall. Mir fällt es schwer, mich zu entscheiden: in meiner Sammlung wäre Platz für alle. Die Wiedergabe von Qwembes Stimme hilft mir: die unterschiedlichen Grade an Stolz, mit der er die einzelnen Figuren beschrieb und ihre Entstehung. Meine Wahl fällt auf einen Sänger aus der zweiten Reihe, dessen grob gearbeiteter Oberkörper mit den erhobenen Händen und dem detailreichen Gesicht dem unbehauenen Stein entwächst.
Auf dem Weg zurück: noch eine Figur, menschengroß, aus hartem, schimmerndem, unbekanntem Material (das Glossar ist natürlich keine Hilfe). Kein Tänzer, kein Sänger, die Figur steht still. Der Körper realistisch, doch der Kopf, als trüge er eine Maske aus gebrochenem Erz, hat kein Gesicht.

Kämen sie jetzt, der Anblick der beiden Cavatoren könnte sie an Rodins Kuss erinnern: die Steuereinheiten wie die Häupter Liebender einander berührend, die Luftschleusen aneinandergedockt. Ein anderes Bild aus Pavels Buch: ein Sukkubus, der sich über einen Schlafenden beugt.
Die Fictoren aber sind Ingenieure, der Anblick der Cavatoren erinnerte sie an nichts.

Während die Abdocksequenz noch läuft, vibrieren schon die Motoren. Mein nächstes Ziel liegt jenseits der verbrannten Ebene: die Gemeinschaftssphäre.

[Neufassung: Gräber]

Schwarzer Merkur

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Mai 27, 2015

Der Wind, der über die Felder des Westens weht,
erzählt vom Ende des Sommers vor seiner Zeit.
Blitzschlag über dem Horizont spaltet das Dunkel des Sturms,
Donner schlägt Krähen in ziellose Flucht.
Mit Gewitterschritten naht der Herbst,
und Dir,
Schwarzer Merkur,
Weber des ersten Zaubers und Wächter des letzten Tors,
weihe erneut ich meine unsterbliche Seele.
Deinen Schutz und Segen erbitt ich
vor der Stille des Winters und der Leere seines weiten Azurs.

Führe mich,
Schwarzer Merkur,
Öffner der Wege und Hüter des verborgenen Lichts,
über das Eis, das die Meere versiegelt,
durch den gläsernen Berg und die Wüste aus blauem Sand.

Dreimal schon schlug ich die tonlose Glocke und opferte Dir,
Schwarzer Merkur,
Bote der Finsternis und Träger des blutigen Schleiers,
den Hahn, der den Morgen begrüßt,
das Vlies der goldenen Ziege,
den weißen Stier Deines Vaters.
Dreimal schon erhörtest Du mich,
schältest die Seele mir aus dem faulenden Fleisch,
doch tilgtest mir nicht die Erinnerung
an den geborstenen Tempel und die Maske in Scherben,
das Schwert, das die Liebenden blutig vereint,
die Schreie, die hallten über den rostroten Fluss.
Ich erinnere mich
an den stürzenden Turm und Könige unter den Sklaven,
Sterne auf dem Spiegel des windstillen Meers.
Wie die Träume der Traumlosen sehe ich vor meinen Augen
verlorene Koffer neben Gleisen vergessener Züge,
zerknitterte Laken, darauf Knoten in lindgrüner Schnur.
Ich sehe den Dämon mit Engelsflügeln,
den Heiland des Untergangs,
Flammen in seinen Worten und Knochen in jeder Hand,
Gift auf der Zunge und Verderben auf allem, was er berührt.

Der Wind weht Rauch über die Felder des Westens,
schmeckt nach Asche und Tod.
Ein viertes Mal also stehe ich vor Dir,
Schwarzer Merkur,
Pfeil, der den Schützen trifft, und Werwolf unter den Schäfern,
hebe den Kelch, der kein Wasser hält, und den zerbrochenen Stab.
bitte Dich, nimm ein anderes als mein Leben,
nimm das Kind mit den blicklosen Augen,
das Blut dieses ruhenden Engels,
den Atem der Unschuld von seinen Lippen.

Ich flehe Dich an,
Schwarzer Merkur,
Eremit auf dem Berg und schlafender Avatar,
fange den durch die Finsternis fallenden Stein,
heile den zerbrochenen Spiegel,
binde den Schatten, den niemand wirft,
halte den Geist, der durch Menschen geht,
führe mich durch das Dunkel des Winters,
schenke meiner Seele das wiederkehrende Licht.

Sturmauge

Bewerbe
März 8, 2015

Die Pfade in meiner Haut sind
Arme eines ausgreifenden Sturms.
In sich neigender Bahn zeichnen sie
meinen Sturz aus kreißender Zeit.

Zwischen den Horizonten
führen sie mich durch die Fremde
sich verschattender Tage
dem Ursprung der Stille entgegen.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
mit Erkenntnisgewinn.
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