37 | Der Dritte von fünf | ANDERSWOLF

ANDERSWOLF

Alles außer Ahnung

[cries in Gen-X]

37 | Der Dritte von fünf

Yelda
November 30, 2010

Der dritte Zauber würde der anspruchsvollste von allen sein, und der vierte und fünfte Zauber die einzige mögliche Konsequenz aus dem dritten. Mir war bewusst, dass ich riskierte, die ganze Welt zu vernichten, denn wie Terno es mir erklärt hatte, mussten die Welten voneinander getrennt werden, damit beide überhaupt existieren konnten. Mein Plan bestand darin, diese Grenze einfach aufzuheben und die Quelle der Magie von der anderen Seite von jenseits der Realität in dieser Welt zu verankern, so wie ich mich in beiden Welten verankert hatte. Es schien in der Theorie einfach, und ich hatte auch schon gesehen, wie es funktionieren würde. Das, was Remde Mandu angetan hatte, als er ihre Kraft nahm, entsprach dem, was ich für die Welt geplant hatte. Ich plante das selbe für die dünne Wand zwischen Wirklichkeit und der anderen Welt. Ich hatte in Remdes Erinnerung das Geflecht wiedererkannt, aus dem Mandus Bewusstsein bestand, ich hatte es erkannt als das gleiche Geflecht, als das ich die Oberfläche der Realität erkannt hatte. Ich sagte mir, und darauf allein basierte mein Plan, dass ich im geschützten Raum der Inneren Stadt von Tharb genau das gleiche mit den beiden Welten machen könnte. Ich würde die Ströme der Kraft und des Lebens von ihrer Quelle lösen und sie direkt in Tharb verankern.
Ich ahnte, dass nicht alles meinem Plan entsprechend verlaufen würde. Dass ich mich aber fast vollkommen irren würde, war mir nicht klar.

Ich stieg die Stufen des Buchturms wieder herab. Mit mir nahm ich das unvorstellbare Gefühl, mit diesem riesigen Netz über mir verbunden zu sein, diesem Schild, der alles auffing, selbst wenn er nicht um mich selbst gespannt war, sondern nur alle Angriffe von mir ableiten würde. Ich ahnte zwar nicht, wie die Drei mich angreifen würden, aber ich hoffte, dass der Schild mich dennoch schützen würde, bis ich meinen letzten Zauber gewirkt haben würde.
Das Dunkel im Inneren des Tempels war jetzt leer. Es interessierte mich nicht, ob die Plünderer tatsächlich die Stadt verlassen hatten oder nicht. Tatsächlich hatten sie noch nicht einmal die Nähe des Tempels verlassen, auch wenn ich das jetzt noch nicht wusste. Erst später sollte ich das herausfinden.

Ich ging noch einmal zu Sobekans Grab und kniete mich vor den Stamm des Baumes, der über mir seine Krone an den Buchturm der Stillen Götter lehnte.
„Ach Sobekan“, seufzte ich. „Wenn Du doch noch am Leben wärst. Du könntest mir viele Fragen beantworten. Du wusstest so viel mehr als ich über die Zauberei und die Kraft. Aber wie die meisten, die mich unterstützten, bist Du nicht mehr am Leben.“
Und dort, unter dem Baum, bereitete ich mich auf meinen dritten Zauber vor, der nichts anderes war als das, was mir Terno und Sobekan geraten hatten: Die Änderung aller Regeln, den Umsturz allen, was ich bislang bei meiner Wahrnehmung der Zauberei gespürt und gelernt hatte. Und obwohl ich nicht sagen hätte können warum, wusste ich doch, dass ich es schaffen konnte. Ich war aus dem Urgrund der Magie geboren, mit der Kraft von vier Jenseitigen erschaffen als Kanal für die reine, ungebundene Kraft, wenn jemand das schaffen konnte, was ich erreichen wollte, dann war ich das.
Remde, dessen Kraft nicht seine eigene war und von den Dreien kontrolliert wurde, wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Hätten sich Rubin, Saphior und Korund zusammengetan, sie hätten es vielleicht schaffen können, doch wenn ich die Trennung der Welten erst einmal aufgehoben hätte, wären nicht einmal sie in der Lage gewesen, den Spalt wieder zu schließen. So dachte ich.

Ich schloss meine Augen und tastete mit meiner Wahrnehmung nach der Grenze der Wirklichkeit. Ich fühlte es sogleich und spürte auch, dass es sich von dem unterschied, was ich selbst geschaffen hatte. Mein eigenes Gewebe war nur ein dünner Schleier, der aus Kraft bestand und nicht aus der Welt selbst. Ich griff mit meinem Geist nach dem, was wirklich war, und konzentrierte mich auf das, was dahinter lag, zwang meinen Geist durch die dünne Wand, und ich fühlte zwar einen Widerstand, doch mit meiner machtvollen Verbindung zur Quelle der Ströme der Kraft und des Lebens, die direkt durch diese Membran auf mich zuströmten, fiel es mir leicht, einen Spalt zu finden, den ich erweitern konnte.
Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass sich nicht nur mein Geist, sondern auch meine Hand durch die Realität gebohrt hatte. Mitten in der Luft vor mir hatte ich meine Hand in einen schmalen Spalt gezwängt, aus dem heraus es düster leuchtete, wie ein Fehlen von Licht und Wärme, das nicht schwarz war, wie die Nacht schwarz ist, sondern in dunklem Rot pulsierte, wie wenn man durch geschlossene Lider ins Licht sieht. Und tatsächlich lief auch ein einzelner schwarzer Tropfen einer Flüssigkeit an meinem Arm herunter, und wo er meine Haut innerhalb der Wirklichkeit berührte, verbrannte er mein Fleisch.

Plötzlich wurde mir die Gefahr meines Plans wirklich bewusst, denn wenn ich plante, die Ströme in diese Welt zu holen, dann würde tatsächlich alles vernichtet werden, was mit ihnen in Kontakt geriet. Andererseits hatte ich genau das geplant, und es sollte eine Falle für die Drei werden, die in ihren von ihrer Kraft geschaffenen Körpern nicht im Stande sein würden, der reinen Kraft zu widerstehen. Sie würden ebenso verzehrt werden wie ich, doch die Welt würde anders sein danach und sie würde frei sein von den Einmischungen jener, die nach einer Herrschaft über eine Welt suchten, die ihnen nicht gehörte und sie, wenn sie jemals ehrlich gewesen wären, auch gar nicht interessierte.

Ich schloss meine Augen wieder und besah mir das Gewebe der Realität erneut. Das geflochtene Muster erinnerte mich stark an mein Werk, und wie dieses sich unter meiner Führung ganz leicht und wie von selbst in seine neue Form hatte bringen lassen, so zerfiel auch das Gewebe der Realität unter meiner Berührung bereitwillig und gab eine breite Öffnung frei, die groß genug war, um ein kleines Kind bequem hindurchschleusen zu können. Ich zog weiter vorsichtig an den Fäden und schnell hatte sich die Öffnung erweitert, dass ein großes Kind, bald ein Junge von Bamars Größe, bald ein Mann von Antejars Statur hindurchgepasst hätte. Als ich die Augen wieder öffnete, hatte ich direkt neben dem Buchturm einen Riss in der Wirklichkeit geöffnet, hinter dem form- und wesenlos das dunkle Licht pulsierte und strömte, sich immer wieder zu fast erkennbaren Formen zusammenballte und wieder auseinander driftete. Ich stand nicht länger in direkter körperlicher Berührung mit der anderen Welt, auch wenn weiterhin an den Rändern die seltsame Flüssigkeit in die Wirklichkeit sickerte. An meiner Hand hatte der Tropfen eine rot brennende Narbe hinterlassen, die zu heilen ich mich aber nicht genötigt sah. Weder hätte ich dafür Kraft aufwenden wollen, wo ich mich schon darauf konzentrieren musste, den Schild an mir zu halten und gleichzeitig den Riss in der Welt nicht noch größer werden zu lassen. Außerdem sah ich nicht, warum ich einen Körper heilen sollte, der ohnehin innerhalb der nächsten Stunden vernichtet werden würde.

Denn damit rechnete ich. Ich hatte Remde einen Zeitrahmen von zwei Tagen genannt, damit die Drei wissen würden, dass sie bald, am besten sofort zuschlagen mussten. Ich wusste, dass sie, hätte es in ihrer Macht gestanden, mich gleich angegriffen hätten, doch durch meine Anwesenheit im Inneren Kreis konnten sie das nicht. Ich musste also warten, dass sie zu mir kamen, und ich wusste, sie würden kommen, sie würden bald kommen, und sie würden nicht erwarten, dass ich ihnen eine Falle gestellt hatte, der nicht einmal sie entkommen würden können.

Und tatsächlich kamen sie bald. Angeführt von Remde näherten sie sich dem Tempel der Stillen Götter. Als sie nahe genug waren, um mich zu sehen, ließen sie Remde zurück und liefen auf mich zu. Ihre Körper waren anders als beim letzten Mal, und sie sahen angestrengter aus, ihre Erscheinungen waren gröber und gleichzeitig auf befremdende Weise falsch proportioniert. Die Augen zu groß, die Münder zu breit, die Arme lang und die Beine zu kurz. Sie hatten nichts mehr von den überirdisch schönen Wesen, als die sie den Dorfbewohnern vor so langer Zeit erschienen waren, und mir wurde klar, dass die Erscheinung damals ein Werk ihrer Magie gewesen war. Sie hatten sich den Erwartungen der Dorfbewohner an übermächtige Wesen angepasst und es nicht gewagt, sich in ihrer eigenen Vorstellung von Macht zu präsentieren. Obwohl die Situation, in der ich mich befand, recht kritisch war, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, und auch das tat eine gute Wirkung bei den Dreien, die nun, da sie sahen, was ich getan hatte, langsamer wurden und sich nur mit vorsichtigen Schritten näherten.

„Was hast Du getan?“
„Warum lächelst Du?“
„Wir haben Deinen Plan durchkreuzt. Unser Bote hat Dich verraten!“
„Nichts habt Ihr durchkreuzt. Er hat meinen Auftrag genau so ausgeführt, wie ich es wollte.“
Der Blaue wandte sich an Remde, der nun auch endlich angekommen war: „Hast Du uns hintergangen?“
„Nein, Herr, sie hat mir gesagt, sie wollte einen Zauber wirken, Euch zu ihr zu bringen, einen Zauber, dem ihr Euch nicht würdet entziehen können. Ich empfand es als meine Pflicht, Euch zu warnen, Herr.“
Fast hatte ich Mitleid mit Remde, dem offensichtlich gerade aufgefallen war, was er gesagt hatte.
„Wie gesagt: Remde hat seine Rolle gut gespielt. Und ob ich wirklich plante, einen Zauber zu wirken, der Euch zu mir bringt, oder nicht, ist relativ egal, denn hier seid Ihr. Man könnte fast sagen, der Zauber hieße Neugier, sei eine Finte, und Ihr darauf hereingefallen.“
„Scherze ruhig, es wird das letzte sein, was Du tun wirst.“
„Davon gehe ich nicht aus. Meine letzte Tat wird Eure Vernichtung, nicht Eure Verspottung zum Ziel haben. Ich werde Euch antun, was Ihr mir antun wolltet. Ich werde Euch Eure Kraft, Eure Unsterblichkeit, Euch Euer Wesen nehmen. Ich werde Euch zu dem machen, was Ihr zu sein verdient: weniger als die Sterblichen, geringer als sie, schwächer als sie. Ich werde Eure Welt mit dieser Welt verschmelzen, und es gibt nichts, das ihr dagegen tun könnt.“
„Närrin!“
„Du weißt nicht, was Du tust.“
„Oh Doch, ich weiß, was ich tue, und ich weiß, dass ihr versteht, dass ich nicht scherze. Ihr seht den Riss in der Welt vor Euch, und ihr wisst, dass das, was ihr seht, Eure Welt ist. Sie steht den Menschen offen, und die Welt der Menschen steht ihr offen. eine erste direkte Verbindung ist geschaffen und der Riss ist schon zu groß, um sich noch schließen zu lassen.“
Ich tippte weitere Fäden der Realität an, und der Riss verbreiterte sich schnell, als die Fäden sich zurückzogen und das Gewebe sich löste. Ich sah Schrecken in den Gesichtern von Dreien, doch es war auch Remde, der mich entgeistert ansah, und Korund, die mich mit Hohn im Blick ansah.
„Du bist eine größere Närrin, als wir es von Dir gedacht hätten. Es war immer unser Plan, die Welten miteinander zu verbinden. Genau dafür wurdest Du geschaffen. Und auch darum fällt es Dir so leicht, die Verbindungen zu trennen. Ob Du es willst oder nicht, Du entsprichst immer unseren Wünschen, denn du bist nach ihnen geschaffen und geben Dir dein Schicksal vor.“
„Nicht ganz. Ihr habt mich als fehlerhaftes Werkzeug geschaffen, es waren Deine eigenen Worte, du erinnerst Dich daran. Ich bin nicht vollständig, erst seit ich in Eurer Welt war, habe ich gelernt, mich mit ihr zu verbinden. Ich habe selbst getan, was Euch nicht gelang, weil Ihr dumm und arrogant wart. Ich selbst habe die Wirklichkeit vor dem Schatten gerettet, der mir folgt.“
„Geschwätz! Du bist ein unwissendes Kind, das …“ begann Korund, doch ich hatte keine Lust mehr, mich von ihr unterbrechen zu lassen.
„Und so, wie ich den Schatten aufgehalten habe, kann ich ihn auch wieder rufen.“
Zum ersten Mal wich auch in Korunds Gesicht das überbordende Selbstbewusstsein, das sie bislang ausgestrahlt hatte. „Das kannst Du nicht.“
„Und wie ich das kann. Ich bin Herrin über mein eigenes Schicksal. Ihr seid nicht mehr als Wegbereiter. Und wie so viele, die mich auf meinem Weg begleiteten, seid Ihr dem Untergang geweiht.“
Und dann wob ich den vierten Zauber.

Anders

Semiliterarisches Lebenslogbuch von
Anders Wolf, ab und an
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